: Ticket an Polizei: Da ist er!
Wenn der tick.et-Test der Berliner Verkehrsbetriebe erfolgreich ist, gibt es bald keine Papierfahrkarten mehr. Dafür die Möglichkeit der Überwachung“ ■ Von Jan Brandt
Aleksas Juozenas geht am Alexanderplatz die Treppe zur U 2 hinunter. Vor einer gelben Säule bleibt er stehen und holt aus seiner Tasche eine blaugelbe Karte. Er zieht die Karte an der Säule vorbei, nichts passiert. Beim zweiten Versuch hält er die Karte länger vor das Display. Es beept, seine Daten sind erfasst, er kann weitergehen.
Seit sieben Jahren lebt der gebürtige Litauer Aleksas Juozenas in Berlin und nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel. Bei der BVG ist er Abonnent eines Monatstickets. Vor ein paar Wochen war er von der BVG angeschrieben und als einer von 25.000 Testern für die neue elektronische Fahrkarte tick.et angeworben worden. Tester erhalten 15 Prozent Ermäßigung auf die Karten und nehmen an einem Gewinnspiel teil.
Seit dem 1. Oktober läuft der Test auf den U-Bahn-Linien 2 und 4. Jetzt sind auch Straßenbahnen und Busse in den Versuch mit einbezogen. Natürlich sei es umständlicher, die Karte herauszuholen und vor den Säulen stehenzubleiben. Die Daten sind zwar auch durch Stoff zu lesen, aber nur in Höhe des Lesestreifens. „Das ist die Zukunft“, sagt Juozenas. „Ich bin für alles offen.“ In Zukunft werden die Karten auch multifunktional einsetzbar sein. Im Kino oder Theater, im Einzelhandel und bei Bankgeschäften. Wie bei anderen elektronischen Transaktionen auch, werden Spuren hinterlassen. „Theoretisch ist es möglich herauszufinden, wer sich wann wo befindet“, sagt Hanns Wilhelm Heibey vom Berliner Datenschutz. „Die Tikkets sind ein hervorragendes Mittel zur Überwachung. Jede Aktivität kann nachvollzogen werden.“
Das Lesen der Karte ist nicht geschützt. Wer eine fremde Karte findet, kann bis zu zwanzig Transaktionen zurückverfolgen. Individuelle Hintergrundinformationen der Kunden werden aber nicht gespeichert. „Sonst garantieren wir unseren Widerstand“, sagt Heibey.
Für Detlev Kruse ist die Sicherheit kein Thema. Kruse ist bei der BVG Direktor für Information und Kommunikation und Projektleiter des tick.et-Feldversuchs. „Wir haben von Anfang an eng mit dem Datenschutz zusammengearbeitet. Der Sicherheitsstandard entspricht dem der Kreditwirtschaft.“ Das sei, so Kruse, ein „ganz wichtiges Moment“, und verstärke „das Urvertrauen der Kunden“.
Wenn es nach Detlev Kruse geht, wird es bald keine Papierfahrkarten mehr geben. Das Modell biete viele Vorteile. Der Tarif wird automatisch berechnet und in Bussen wird die Fahrgastabwicklung beschleunigt. Treten keine Komplikationen auf, rechnet die BVG im Jahre 2002 mit der Installation des Endsystems auf allen Linien. Insgesamt sind Investitionen von über 200 Millionen Mark geplant.
„Die Smartcard bietet unendliche Möglichkeiten“, sagt Henning Jensen von der WSSD in Hamburg. Zahlungsfunktionen wie bei der Kredit- oder Bankkarte werden mit dem öffentlichen Nahverkehr gekoppelt. Herr Jensen hat „ziemlich viele Karten“ in seinem Portmonee und empfindet es als „große Herausforderung“, diesen Zustand zu ändern.
Das System läuft schon erfolgreich in Großstädten wie Hongkong oder Rom. In Deutschland gibt es nur in wenigen Städten elektronische Tickets, wie zum Beispiel in Marburg oder in Hamburg. Der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) hat wegen technischer Probleme die Umsetzung eines ähnlichen Modells der Firma Siemens bis Ende November zurückgestellt. Flächendeckend eingeführt wird das tick.et in Berlin aber erst dann, wenn es sich als „Null-Fehler-System“ erweist, wie BVG-Vorstandschef Rüdiger vorm Walde zu Beginn des Versuchs sagte.
Von den bisher rund 9.000 Testern haben sich viele an der Lautstärke der Checkin-Checkout-Säulen gestört. „Alle haben mich angeschaut“, sagt Aleksas Juozenas. Viele fühlten sich wie Schwarzfahrer. Im Pressetext der BVG liest sich das so: „Dank minutiöser Vorbereitungen des Projektteams sind die sonst üblichen Kinderkrankheiten ausgeblieben.“
Hanns-Wilhelm Heibey vom Berliner Datenschutz ist skeptisch. „Es gibt noch viele Probleme.“ Beim bargeldlosen Aufladen der tick.ets haben Umstehende freien Blick auf die Pin-Nummer. „Das muss man technisch lösen“, meint Heibey.
Aleksas Juozenas ist aber insgesamt mit dem tick.et zufrieden. Er fühlt sich auch nicht überwacht. Nur einmal, als eine Säule an der Eberswalder Straße defekt war, habe er kurz ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er glaubte, schwarzgefahren zu sein. Die tick.ets gelten aber auch als ganz normale Fahrausweise. „Schließlich ist das nur ein Feldversuch“, sagt Klaus Wazlak, Pressesprecher der BVG, „alles andere ist Science-Fiction“.
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