Happy End für das Bauhaus?

Qualität für die Massen, Ästhetik für alle! Die Moderne begeht einen wichtigen Geburtstag: achtzig Jahre Bauhaus. Das architektonische Erbe des Bauhauses indes bedarf der Pflege. Die Dessauer Bauten von Walter Gropius und Hannes Meyer sind Zeugen einer wechselvollen Geschichte – von Verfemung und Hobbyhandwerkern Von Reinhard
Seiß und Philipp Krebs

Das Bauhaus ist eine Geschichte der Suche nach dem Neuen: nach neuen Formen, neuen Inhalten, einer neuen Gesellschaft. Das Bauhaus war aber auch eine Geschichte des Wechsels und Wandels: von Weimar nach Dessau, von Dessau nach Berlin, und dann über die Grenzen Deutschlands hinaus nach Amerika und in den Rest der Welt.

Gegründet wurde das Bauhaus 1919 von Walter Gropius in Weimar. Auf den Trümmern des Ersten Weltkriegs machte sich das Bauhaus zur Aufgabe, durch neue Gestaltung Gegenstände und Räume für eine humanere und sozial gerechtere Gesellschaft zu modellieren. Das Programm las sich so: „Das Endziel aller bildenden Tätigkeit ist der Bau! Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte! Erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird – Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.“

1923 präsentierte sich das Staatliche Bauhaus Weimar erstmals der Öffentlichkeit mit seiner Ausstellung „Kunst und Technik – eine neue Einheit“. Mit jenem Teil der Schau, der sich „Internationale Architektur“ nannte und auch Bauhaus-fremde Werke und Entwürfe, etwa von Le Corbusier oder Bruno Taut, zeigte, bekannte man sich zur Moderne und zum Neuen Bauen. Das Bauhaus selbst konnte damals erst auf ein realisiertes Gebäude verweisen, das „Versuchshaus am Horn“ des jungen Meisters Georg Muche. Es blieb das einzige architektonische Zeugnis des Bauhauses in Weimar – nach nur fünf Jahren erzwangen die rechtsnationalen Parteien im Thüringer Landtag die Schließung der Kunstschule.

Das Bauhaus zog 1925 von Weimar nach Dessau. Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt hatte Walter Gropius Bauland und Kapital für ein neues Schulgebäude angeboten, außerdem standen öffentliche Aufträge in Aussicht. Und nicht zuletzt boten sich die Betriebe der aufstrebenden Industriestadt im heutigen Sachsen-Anhalt, allen voran die Junkers Flugzeugwerke, als Partner an für die Umsetzung des ehrgeizigen Ziels: der künstlerischen Durchdringung des Alltags mit Produkten aus kostengünstigen Industriestoffen und rationeller Serienproduktion.

Bereits ein Jahr später konnte das neue Bauhausgebäude eingeweiht werden. Zweitausend Gäste aus aller Welt staunten über den kompromisslos modernen und funktionalen Bau. Zweckmäßigkeit und eine aus der Funktion abgeleitete künstlerische Gestaltung waren die Leitlinien des Entwurfs von Walter Gropius. Große Glasflächen, teils über mehrere Etagen gezogen, und weiße Mauern lassen das vielgliedrige Gebäude trotz seiner beachtlichen Kubatur leicht, fast schwebend erscheinen. Das Gebäude war damals wie heute multifunktional: Die drei Haupttrakte – der Werkstattflügel, die Technische Lehranstalt mit Unterrichtsräumen sowie der vierstöckige Wohnturm mit Atelierwohnungen für Studierende – werden durch einen Flachbau mit Mensa, Aula und Bühne sowie durch eine zweistöckige Brücke verbunden. Das vielgliedrige Gebäude kennt keine Haupt- und Nebenansichten, es ist nur in der Bewegung erfassbar.

Im Inneren des Gebäudes beeindrucken funktionale, technische Details wie neuartige Beleuchtungskörper oder die berühmte Stahlrohrmöblierung von Marcel Breuer. Ebenso faszinieren die – dem Klischee einer „weißen Moderne“ widersprechende – Farbvielfalt nach Entwürfen der Werkstatt für Wandmalerei oder der Reichtum an unterschiedlichen Raumfolgen und Blickbeziehungen. Noch heute gilt das Bauhausgebäude als das bauliche Manifest der Moderne, das den Auftakt zu einer Reihe von Entwürfen und Realisierungen in Dessau bildete. Bald schon war vom Bauhausstil die Rede, der für all das stand, was nur irgendwie modern erschien – aber auch für alles, was in der zunehmend technisierten Welt von der breiten Bevölkerung als „unmenschlich“ empfunden wurde.

Ein Beispiel für die ambivalente Haltung der Bevölkerung zur Bauhausarchitektur ist die Siedlung Törten im Stadtteil Dessau-Süd. Im Auftrag der Stadt Dessau entwarf und realisierte Walter Gropius zwischen 1926 und 1928 insgesamt 314 ein- und zweigeschossige Reihenhäuser in vier unterschiedlichen Bautypen. Ziel der Versuchssiedlung war die Senkung der Baukosten durch neue Bauorganisation und Bautechnik. So sollte das Wohnungsproblem der unteren Einkommensschichten gelöst und auch weniger Begüterten der Erwerb eines Eigenheims ermöglicht werden. Normierung, Typisierung und Vorfertigung der Bauteile sowie serielle Montage durch Kräne machten die Siedlung Törten zum Prototyp des industrialisierten Wohnungsbaus.

Das ursprüngliche Erscheinungsbild der Siedlung lässt sich heute kaum noch erahnen. Schon wenige Jahre nach Bezug und gefördert durch die Nationalsozialisten, begannen die Bewohner mit dem Umbau der Häuser. Die massivste Veränderung betraf die Straßenfassaden. Gropius ließ die Fenster ursprünglich mit der Decke abschließen, um die Fenstersturze einzusparen und um unterhalb der Fenster Stellfläche für Möbel zu schaffen. Die Bewohner allerdings fanden die hochliegenden Fenster weder praktisch noch angenehm – und montierten stattdessen konventionelle, tiefer liegende Fenster ein. Anstelle der weißen Fassaden mit schwarzen und grauen Schatten sieht man heute alle Variationen der Heimwerkerarchitektur: Holzvertäfelungen, verflieste Fassaden, Eternitverkleidungen und eine ungebändigte Farbvielfalt.

Andererseits betonen die Bewohner von Törten, dass die Wohnanlage auch siebzig Jahre nach ihrer Errichtung unbestreitbare Vorzüge bietet. Durch fließende Raumfolgen gelang es Walter Gropius, die Häuser mit ihren 57 bis 74 qm Wohnfläche großzügig erscheinen zu lassen. Die Zimmer waren hell und verfügten über einen zeitgemäß hohen Standard.

Bester Beweis für die bauliche Qualität ist, dass sich in manchen Häusern noch die originale Zentralheizung findet. Zu jedem Siedlungsreihenhaus gehörte auch ein Nutzgarten, der die teilweise Selbstversorgung der Bewohner ermöglichen sollte. In unserer Zeit bietet Törten durch seine Grünflächen, trotz dichter Bebauung, einen für städtisches Gebiet aussergewöhnlich hohen Erholungswert.

Erfolgreich war auch das Laubenganghaus: Fünf dieser mehrgeschossigen Wohnzeilen entstanden 1928 bis 1930 als Teil eines Erweiterungsplans für die Siedlung Dessau-Törten. Die Entwürfe des Schweizer Architekten Hannes Meyer sahen pro Haus achtzehn Wohnungen für Vierpersonenhaushalte vor, wobei jede Wohneinheit lediglich 47 qm maß. Dennoch schafften die Bauhausarchitekten komfortable Dreizimmerwohnungen mit Küche, Bad und einer zentralen Heizung. Jeder Wohneinheit war ein Kellerabteil sowie ein kleiner Garten zugeordnet.

Zeitgleich mit dem Bauhausgebäude, gleich nach dem Umzug nach Dessau, entwarf Walter Gropius eine kleine Siedlung mit einem Einzelhaus für den Direktor und drei Doppelhäusern für die wichtigsten Meister des Bauhauses. Die ersten Bewohner waren – neben Gropius selbst – Laszlo Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Georg Muche und Oskar Schlemmer sowie Wassily Kandinsky und Paul Klee. Die so genannten Meisterhäuser waren großzügig angelegt: Alle Wohnungen verfügten auf der Nordseite über ein Atelier, auf der Ost- und Südseite über Terrassen und Balkone. Ihre Innenausstattung war jahrzehntelang maßstabgebend für modernes Wohnen. Die Haushälfte von Laszlo Moholy-Nagy sowie das Einzelhaus von Walter Gropius gingen allerdings durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs verloren.

Die wirtschaftliche Krise der späten Zwanzigerjahre schuf auch in der Industriestadt Dessau den Bedarf nach einem neuen Bautypus: dem Arbeitsamt. Die einsetzende Massenarbeitslosigkeit erforderte einen reibungslosen Ablauf der Arbeitsverwaltung. Walter Gropius richtete seinen Entwurf streng funktional auf einen Kundenverkehr von bis zu zweitausend Personen pro Tag aus – und gewann damit den von der Stadt Dessau ausgeschriebenen Wettbewerb. Fünf getrennte Eingänge und zwei Ausgänge gliedern den Ziegelsteinbau, bestehend aus dem eingeschossigen Kundentrakt und einem mehrgeschossigen Kubus für die Verwaltung. Waren den verschiedenen Eingängen unterschiedliche Berufsgruppen zugeordnet, so trennte man die Arbeitsuchenden an den Ausgängen nach Geschlechtern. Dies, so argwöhnen manche, um den Frauen nicht vor Augen zu führen, um wie viel weniger sie an Arbeitslosengeld erhielten als ihre männlichen Kollegen. Der zentrale Gang und die innenliegenden Räume wurden durch ein Sheddach mit Schrägverglasung natürlich belichtet – um der depressiven Stimmung bei vergeblicher Arbeitsuche eine helle und freundliche Atmosphäre entgegenzusetzen.

Trotz der zahlreichen Realisierungen architektonischer Projekte und der internationalen Anerkennung der künstlerischen Ausbildung am Bauhaus trat Walter Gropius kaum zwei Jahre nach der Übersiedlung aus Weimar von seinem Amt als Direktor zurück. Schon bald hatte auch in Dessau politischer Druck eingesetzt, aber auch interne Auseinandersetzungen um die künftige Richtung des Bauhauses hatten ihn zermürbt. Mit Gropius verließen auch Laszlo Moholy-Nagy und Marcel Breuer das Bauhaus. 1932 ließ die neue Mehrheit im Dessauer Stadtrat die Institution schließen. Kurze Zeit noch führte Mies van der Rohe es als Privatinstitut in Berlin weiter. Doch nach einer Durchsuchung durch die Gestapo beschloss das Lehrerkollegium die Auflösung des Bauhauses am 20. Juli 1933.

Mit der politischen Wende in Ostdeutschland begann die Renaissance des Bauhauses. Die Stiftung Bauhaus Dessau wurde ins Leben gerufen und mit der Pflege und Erhaltung sowie der Präsentation des Bauhauserbes betraut. Die Stiftung hat ihren Sitz im Bauhausgebäude, das nun sukzessive denkmalgerecht restauriert wird. Die „Sammlung“ zeigt regelmäßig Exponate aus den historischen Werkstätten des Bauhauses, aber auch Arbeiten anderer Vertreter der Moderne.

Selbst die Werkstätten erhielten neues Leben: Wissenschaftler verschiedener Disziplinen – Architekten, Stadtplaner, Landschaftsplaner, Ökologen – greifen hier die Bauhaustradition der Gestaltung der Lebensumwelt in zeitgemäßer Form wieder auf. Das Bauhaus damals kultivierte mit seiner Arbeit die industrielle Durchdringung des Alltags – siebzig Jahre später steht die Auseinandersetzung mit den Folgen der Industrialisierung an. Die ausgebeutete Kulturlandschaft, die Hinterlassenschaften des Bergbaus, die Deindustrialisierung ganzer Regionen: das sind Themen für das heutige Bauhaus; Themen, die gerade in der Region um Dessau, einem Zentrum der DDR-Schwerindustrie sowie des rücksichtslosen Kohletagebaus, allgegenwärtig sind.

1996 wurden das Dessauer Bauhausgebäude und die verbliebenen Meisterhäuser ebenso wie die Weimarer Bauhausstätten (neben dem Haus am Horn auch der ehemalige Sitz des Weimarer Bauhauses in zwei Jugendstilbauten von Henry van de Velde) von der Unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Auch auf lokaler Ebene setzt man inzwischen auf den historischen Wert des Bauhauses. Sind das Bauhausmuseum in Weimar und das Bauhausarchiv in Berlin mehr oder weniger untergeordnete Attraktionen im reichhaltigen Kulturangebot beider Städte, so ist die vielfältige Hinterlassenschaft der Dessauer Zeit das Highlight in der darbenden Industriestadt an der Elbe. Zudem wurde ein rechtlicher Rahmen geschaffen, etwa eine Denkmalssatzung für die Siedlung Törten, und private Sponsoren gefunden. Die gegenwärtige Rekonstruktion der beiden maroden Meisterhäuser wird zu einem erheblichen Teil von einer großen Baufirma bzw. einer Versicherungsgesellschaft finanziert.

Das Meisterhaus Lyonel Feiningers wurde nach seiner Restaurierung 1994 Sitz des Kurt-Weill-Zentrums. Die Moses-Mendelssohn-Gesellschaft wiederum hält die Erinnerung an einen weiteren großen Sohn der Stadt im einzigen originalgetreu rekonstruierten Reihenhaus in Dessau-Törten wach. Das von den Nationalsozialisten durch Einbau herkömmlicher Fenster veränderte ehemalige Arbeitsamt wurde bis vor kurzem von der Krankenversicherungsanstalt genutzt. Die Stadt Dessau bemüht sich nun um eine adäquate öffentliche Nutzung des Gebäudes. Und die Wohnbauten, ob die Reihenhaussiedlung oder die Laubenganghäuser, gelten unter den Bewohnern als äußerst attraktiv.

Reinhard Seiß und Philipp Krebs, Raumplaner und Filmemacher in Wien, Lehrauftrag an der Bauhaus-Universität Weimar, produzierten die TV-Dokumentation „Das Bauhaus in Dessau“.