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Sparen heißt bluten: Die Mieter sind dran

■  Die Koalitionsrunde entscheidet am Wochenende über einen Teilverkauf der 442.000 städtischen Wohnungen. Mieterverbände warnen: „Hoher Anteil öffentlicher Wohnungen ist ein entscheidender Faktor für niedrige Mieten“

An diesem Wochenende entscheidet sich das Schicksal der knapp 1,5 Millionen Berliner Mieterhaushalte. In der Schlussrunde der Koalitionsgespräche, die am Sonntag beginnt, beschließen CDU und SPD über weitere Verkäufe bei den 16 städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Mieterverbände haben die Regierungsparteien gestern noch einmal eindringlich gewarnt, sie sollten die Kontrolle über fast ein Viertel des Wohnungsbestandes nicht aus der Hand geben. Sonst drohten nicht nur höhere Mieten in den bislang kommunalen Häusern, sondern ein Anstieg des Mietniveaus insgesamt. „Der hohe Anteil öffentlicher Wohnungen ist ein entscheidender Faktor für die niedrigen Mieten in Berlin“, sagte ein Sprecher des Deutschen Mieterbunds.

Widerstand erwartet die privatisierungswillige Sparsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) auch von der CDU. Die Partei hatte im Wahlkampf gegen einen „Ausverkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaften“ Front gemacht. Wann der bloße Verkauf aufhört und ein „Ausverkauf“ beginnt, hat sie allerdings im Unklaren gelassen.

In ihren Befürchtungen sehen sich die Privatisierungsgegner durch den Verkauf der Gemeinn. Heimstätten-AG (Gehag) bestätigt, die im vergangenen Jahr als erste städtische Gesellschaft mehrheitlich in private Hände überging. Der Gehag gehören in Berlin rund 30.000 Wohnungen in der Gropiusstadt, in Rudow, Karow und im Südwesten. Unmittelbar nach dem Verkauf hatte der Investor, die Immobiliengruppe Rinteln-Stadthagener Eisenbahn AG (RSE), eine härtere Gangart angekündigt. „Wir werden eine Inkasso-Offensive starten“, sagte Vorstandschef Ristow, „wer seine Miete in die Kneipe trägt, gegen den werden wir härter vorgehen“.

Wegen der geplanten Wohnungsverkäufe herrscht unter den meist älteren Mietern große Unruhe. Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Hartmann Vetter: Die Wohnungen würden erst den Mietern angeboten. Aber wenn sie nicht kaufen könnten, kämen andere Interessenten in Frage.

Obendrein hat sich die WCM Beteiligungs- und Grundbes. AG, deren Einstieg bei der Gehag die Privatisierungskritiker um jeden Preis verhindern wollten, nun beim Investor RSE mit einem Viertel der Geschäftsanteile eingekauft. Nach unbestätigten Berichten soll die WCM ursprünglich einen fast doppelt so hohen Kaufpreis angeboten haben wie die RSE. Ein höherer Preis muss sich über Mieterhöhungen und Verkäufe wieder amortisieren.

„Wenn private Investoren Wohnungen erwerben, wollen sie sie nicht erhalten, sondern verwerten“, sagt Mietervertreter Vetter. Auch der Deutsche Mieterbund sieht die Berliner Privatisierungspolitik kritisch. „Die öffentliche Hand war bislang ein moderater Vermieter, der die Erhöhungsmöglichkeiten nicht voll ausgeschöpft hat.“

Im Landeshaushalt für das laufende Jahr wie auch im Etatentwurf für 2000 sind Einnahmen von jeweils 2,4 Milliarden Mark aus Verkäufen von Landesvermögen vorgesehen. Nachdem Gas-, Wasser- und Stromversorgung bereits privatisiert sind, erwägt Senatorin Annette Fugmann-Heesing in erster Linie einen Teilverkauf der 442.000 städtischen Wohnungen. Ralph Bollmann

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