Einmal Ferien vom Krieg machen

■ An der dalmatinischen Küste urlauben Kinder aus den ehemaligen Kriegsgebieten

Ein Linienbus bringt mich nach Sivogošce. Kaum sichtbar von der Straße ist der kleine Ort an der dalmatinischen Küste. Auf einem schmalen Streifen, eingerahmt von den Bergen und der Adria, liegt neben dem eigentlichen Dorf der Hotelkomplex. Außer mir steigt niemand aus. Der Strom der wiedergekommenen Westtouristen versiegte während des Krieges im Kosovo. Das Gros der Urlauber stammt nun aus Tschechien, ihr Urlaubsbudget reicht gerade für das Hotel, einige kochen dort auf Spirituskochern.

„Du bist verrückt!“, „Helfer-Komplex“ waren einige der milden Beurteilungen von Freunden angesichts meiner Absicht von Ferien in Kroatien, genauer Ferien mit Kindern aus den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien.

Es ist nicht nur die materielle Situation, wegen der die Hotelleitung Ferien für kriegstraumatisierte Kinder anbietet. Es ist auch ein Teil aktive Hilfeleistung. Obwohl das Personal eigene Sorgen hat, es wartet seit vier Monaten auf seinen Lohn, behandelt es die Kinder mit Respekt wie „normale“ Gäste.

Eine Gruppe ist im Aufbruch, eine dritte Gruppe mit Kindern aus Banja Luka und Umgebung kommt an. In die Aufgeregtheit des Abschieds werde ich hineingerissen: Ein Mädchen berichtet von ihrer neuen Freundin, vier kleine Jungs testen mein Spaßverständnis, mein Schmuck wird untersucht. Helga Dieter vom Komitee für Demokratie und Grundrechte verteilt unerschüttert Räume, hört die Busfahrer an, die über Schwierigkeiten bei der Einreise klagen, und sieht, dass die Sandwiches für unterwegs noch nicht geschmiert sind.

Auch Ferien – mit 132 Kindern von acht bis 14 Jahren – brauchen eine Struktur. Nach dem Frühstück wird in Workshops gebastelt, gesungen oder Fußball gespielt. Nicht allen Kindern und auch Betreuerinnen gefällt diese Organisation. Doch der gemurrte Widerstand verliert sich im Ferienalltag. Einmal in der Woche veranstaltet das Hotel einen Discoabend. Der gealterte Popstar, der durch die Küstenhotels tingelt, lässt nicht erkennen, ob ein Publikum von Kindern das ist, was er sich für seine Auftritte vorstellt. Er gibt jedenfalls alles, und die Kinder singen mit größter Begeisterung mit.

Das Wasser ist orange gefärbt von Plastikschwimmflügeln, nur wenige können schwimmen. Obwohl die runden Pontons weiter draußen ein beliebter Ankerpunkt sind und eine Motivation fürs Schwimmen lernen, gibt es neue Schwierigkeiten. Kaum ein Kind lässt sich helfend anfassen, Berührungen scheinen unerträglich. „Normale“ Kinder, die ausgelassen im Wasser toben. Kinder mit wenigen sichtbaren Narben. Kinder, die mit ansehen mussten, wie ihre Eltern umgebracht wurden, auf Minen traten oder hart an eigenen Kriegstraumata trugen, so dass sie die Familie ruinierten. Eine Wunde, die man nicht wegnehmen kann. Eine Wunde, die nur selten so offenkundig wird wie bei dem Mädchen, das einen Liederwettbewerb eurovisionsreif moderiert, aber sich heimlich mit Rasierklingen schneidet und unentwegt lachend vor sich hin spricht.

Und die Angst. Unsichtbar im Sonnenlicht, lauert sie unter der Haut und bewirkt eines Nachts, dass der Anblick eines bärtigen Fremden auf dem dämmrigen Hotelflur kollektive Panik auslöst. Ein Nachtwächter wird engagiert, als klares Signal für die Kinder: Ihre Gefühle werden ernst genommen.

Auch die Highlights der Ferien, Ausflüge auf die benachbarten Insel Hvar und nach Markaska, der Hauptstadt der Region, sind nicht für jedes Kind unproblematisch. Bei manchen wecken einfache Verkehrsmittel die Gedanken an Flucht und Deportation. Auf den Fahrten sprechen die Kinder über ihre Geschichte. Eine vorsichtige Annäherung, ein sensibler Kontakt. Fragen nach Herkunft, Eltern, Flucht sind hoch belastet. Kinder, die während des Krieges nach Deutschland oder England flüchteten, verbergen, dass sie dort die Landessprache lernten, was sie als „Feiglinge“, die keinen Krieg erleben mussten, brandmarkt. Und doch sprechen serbische Kinder mit bosnischen, freunden sich an.

Bei Ausflügen durch das Dorf sollen die Kinder die nationalen Sporttrikots im Hotel lassen. Der Name eines serbischen Fußballers hatte in einer Gruppe für Provokation im Dorf gesorgt.

Klosterbesichtigung. Frater Isidor, aus Kanada in die kroatische Heimat gekommen, führt das Kloster vor. Neugierig erforschen die Kinder Kirche und den Klostergarten. In einer Ecke des Refektoriums entdecken sie einen Fernseher. Odlicno! (Super!) Für viele Kinder ist der fehlende Fernseher einer der Gründe für Heimweh. Und doch würden alle gern noch bleiben, die Tage sind schnell um. Fast jedes Kind hat schwimmen gelernt, ein enormer Schub für das Körperbewusstsein und Selbstvertrauen. Es ist, als ob die Kinder in der Sonne ein bisschen weicher geworden sind. Maggie Thiene