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Pro Stunde drei Angriffe im Kaukasus

■ Während des OSCE-Gipfels sollen in Tschetschenien 170 Menschen bei russischen Luftangriffen getötet worden sein

Moskau/Grosny (dpa/rtr/ta*) – Bomben und Verhandlungen müssen einander keineswegs ausschließen: Noch während beim Istanbuler Gipfeltreffen der Organisation für Sicherheit und Kooperation in Europa (OSCE) die beteiligten Staaten mit Russland um die Unterschrift so wichtiger Dokumente, wie der Charta für Europäische Sicherheit und den KSE-Vertrag über Abrüstung, rangen, feuerten russische Truppen mit unverminderter Härte weiter auf Orte in der Kaukasusrepublik Tschetschenien. Getreu der Devise: Istanbul ist weit und der Kampf gegen „Banditen und Terroristen“ muss gnadenlos und um jeden Preis bis ans Ende geführt werden.

In einer Periode von 24 Stunden flogen die Kampfjets bis gestern Morgen insgesamt 60 Angriffe, berichtete die Agentur Interfax unter Berufung auf das Hauptquartier der russischen Kaukasus-Streitkräfte in Mosdok.

Bei diesen Bombenangriffen wurden nach diesen Angaben rund 150 muslimische Rebellen getötet. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden. Tschetschenische Quellen berichteten von 170 Toten. So seien am Donnerstag 70 Menschen bei Luftangriffen auf die Hauptstadt Grosny und 100 Personen bei Raktenangriffen auf die Stadt Urus-Martan, rund 20 Kilometer von Grosny, getötet worden.

Unterdessen führten die Truppen ihren Vormarsch in Tschetschenien fort. Nach Gudermes in der vergangenen Woche nahmen sie am Donnerstag in der Nähe der Demarkationslinie der Nachbarrepublik Inguschetien auch die Stadt Atschkoi-Martan ein. Lokalen Politikern wurde versichert, dass die Bombardements eingestellt würden, falls sie garantieren könnten, dass sich keine Rebellen mehr in der Stadt versteckt hielten.

Der russische Fernsehsender NTV brachte Bilder von General Wladimir Schamanow, Kommandant der russischen Streitkräfte im Westen Tschetscheniens, bei einer Ansprache an die Bewohner Atschkoi-Martans. „Vor Ihnen steht ein General, der des Kampfes müde ist. Lasst uns in Frieden miteinander leben“, sagte der General. „Lasst uns alle sagen: Es ist genug“, sagte er und viele riefen: „Genug!“ Den Bewohnern der Stadt, die bereitwillig ihre Waffen abgäben, stünden keine Repressionen bevor. „Männer, die sich nicht an terroristischen Aktionen beteiligt haben und die nur einfache Kämpfer sind, für sie haben wir Verständnis. Sie können ohne Angst vortreten und ihre Waffen niederlegen“, sagte Schamanow.

Laut Angaben des Generals sei die Stadt Bamut, in Westen Tschetscheniens, stark umkämpft. Bamut ist seit jeher eine Hochburg der Rebellen und galt während des Krieges 1994–1996 als Symbol für den Unabhängigkeitskampf der Tschetschenen. Überdies kündigte Schamanow die nächste Offensive an: Nun würden sich die Truppen die Stadt Samaschki vornehmen. Es sei eine Operation in Vorbereitung mit der Absicht, dass die Truppen die totale Kontrolle übernehmen könnten. bo

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