■ Kommentar
: Alternativlos  Der Westen kann kaum Druck auf Russland machen

Flüchtlingsschlangen im Niemandsland, Massaker an der Bevölkerung, systematische Vertreibung einer bestimmten ethnischen Gruppe – was sich in Tschetschenien abspielt, unterscheidet sich kaum von dem, was erst vor wenigen Monaten im Kosovo passierte. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied. Anders als im Kosovo wird es der Westen, werden es die USA und EU-Europa, in diesem Fall bei mahnenden Worten und dem Angebot der „guten Dienste der OSCE“ belassen.

Das Treffen der westlichen Staats- und Regierungschefs mit dem Kremlchef auf dem OSCE-Gipfel in Istanbul wird an dem brutalen Krieg in Tschetschenien nichts ändern. Alle wissen das, Gerhard Schröder und Joschka Fischer machen auch kaum einen Hehl daraus.

Der russische Präsident hat in Aussicht gestellt, dass er für eine politische Lösung votieren wird. Nur, wann das sein wird – das wollte er lieber nicht sagen. Und sein konkretes Angebot an den Gipfel fiel höchst bescheiden aus: eine Reise des amtierenden OSCE-Chefs, des norwegischen Außenministers Vollbaek, in die Kriegsregion. Auch diese Initiative wird an dem Krieg nichts ändern.

Die russische Seite hat somit im Kern keinerlei Kompromissbereitschaft signalisiert. Stattdessen droht nun auch noch die Gefahr, dass die defensive Haltung des Westens in Moskau propagandistisch für den Krieg ausgeschlachtet wird.

Doch was wäre die Alternative gewesen? Man hätte Russland mit seiner Suspendierung aus der OSCE drohen können. Und man hätte androhen können, dass man, via Internationalen Währungsfonds, den Geldstrom, den Russland dringend braucht, drosseln wird. Doch was, wenn Moskau sich davon nicht beeinflussen lässt?

Bomben werfen? Niemand käme im Ernst auf eine solche Idee. Russland ist nicht Serbien. An dieser simplen Feststellung endet jede Debatte um so genannte „humanitäre Interventionen“. Eingedenk dessen muss die Staatengemeinde sich auf die Mittel beschränken, die die Konfliktforschung empfiehlt. Dialog, positive Angebote, permanente Überredungsversuche. Das wird sicher irgendwann erfolgreich sein. Nur die bombardierten Tschetschenen wird dies nicht retten. Die Diskussion hatten wir doch schon mal? Genau, aber nun probieren wir mal das andere Programm. Jürgen Gottschlich