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Zerstörerischer Geist

Was an Kunst vom Hamburger Mittelalter übrig blieb, zeigt eine Ausstellung in der Kunsthalle  ■ Von Hajo Schiff

Geht es um die Spuren des Mittelalters in dieser unserer schönen Stadt, sind die Kirchen wohl das erste und einzige, was einem dazu einfällt. Bei intensiverer Suche lassen sich aber durchaus Reste des einst bedeutenden mittelalterlichen Lebens und Kunstschaffens finden. Was Historiker und Kunstwissenschaftler in den letzten Jahren wiederentdeckt haben, wird jetzt in einer großen Zusammenschau präsentiert. Die Anfänge der Stadt und die Geschichte der mehr als 25 Burgen demonstriert das Helms-Museum, und die Kunsthalle führt erstmals Tafelbilder, Skulpturen und Handschriften des Hochmittelalters zusammen. Doch fast interessanter als Goldgrundmalerei, Bergkris-tallkreuze und kaiserliche Siegel ist die Geschichte des späteren Umgangs mit der späten Blüte des Mittelalters an Alster und Elbe. Denn die ist so konsequent von reformatorischem Geist, aufklärerischer Verachtung und kühl kalkulierter Zerstörung geprägt, dass es bis in die aktuelle Ausstellungsgestaltung mit düsterbrauner Furnierplatte und trotzigen Eisenträgern fortwirkt.

Die Liste der Zerstörungen beschreibt den einstigen Reichtum am besten: Schon 1595 wurde der Meister Bertram-Altar übermalt, 1602 die einst als wundertätig erachtete Eppendorfer Alraune verkauft, 1782 das Grab des 965 hier verstorbenen Papstes Benedikt V. im Hamburger Dom beseitigt, 1784 die exquisite Dombibliothek versteigert, zwischen Reformation und Industrialisierung verschwanden alle Klöster und Spitäler, 1806 konnte schließlich mit dem Abriss des ungeliebten, bis dahin unter bremischem Bischofsrecht stehenden Domes begonnen werden. Dazu kommen die Auswirkungen der Katastrophen und Kriege, vor allem des Hamburger Brandes von 1842 und die folgenden Stadtumgestaltungen. 1939 wurde der Kalvarienberg in St. Georg demontiert, im Zweiten Weltkrieg dann erneut Schutt und Asche.

Das dennoch Verbliebene ist auf das Staatsarchiv, die Staatsbibliothek, die Kirchen, die Kunsthalle und das Museum für Kunst und Gewerbe verteilt. Eindrucksvoll erscheint in der Ausstellung das Bild vom hiesigen Mittelalter. Kein Wunder aber auch, dass manche Prunkstücke aus Wien, Kopenhagen, Madrid und Warschau zurückgeholt werden mussten, um eine Vorstellung von der einstigen Pracht zu geben.

Zentral dabei sind die beiden Ältäre: Die im Besitz der Kunsthalle befindlichen Tafeln aus der Petrikirche, die Meister Bertam zwischen 1379 und 1383 erstellte, und die erst vor kurzem in Polen wiederentdeckten, exakt 500 Jahre alten Bildtafeln des Marienaltars von Absalon Stumme aus dem Hamburger Dom. Letztere wurden binnen 9000 Arbeitsstunden von einem polnisch-deutschen Team in der Werkstatt der Denkmalpflege in der Jacobikirche restauriert. Zwischen diesen beiden, im Kuppelraum der Kunsthalle vielleicht doch etwas merkwürdig positionierten Altäre liegt in einem eigenen Vitrinchen das älteste Zeugnis des Christentums hier im Norden: ein nur 20 Millimeter großes elfenbeinernes Christuskreuz aus dem 10. Jahrhundert. Ansonsten sind die meisten Werke aus dem 15. Jahrhundert, in dem Maler wie Meister Francke, Hans und Hinrik Bornemann oder Hinrik Funhof sich einer einzigen von der Zunft erlaubten Meisterwerkstatt zuordnen lassen.

Doch die Ausstellung verschweigt den wenig respektvollen Umgang mit dem mittelalterlichen Erbe nicht. Und so mag der Raum mit den romantischen Zeichnungen Jess Bundsens zum Fortgang des Abrisses des Domes für den Geist dieser Kaufmannsstadt der wichtigste sein. Da geht das Mittelalter dahin, wo es hingehört: in die verklärende Erinnerung. Und hier in Hamburg wird gefälligst so viel Geld verdient, dass sich ein jeder ein dickes Buch zur theoretischen Kenntnisnahme und eine feine Reise nach Lübeck oder besser in den katholischen Süden mit seinen hübschen Bauten und sinnlich inszenierten Ausstellungen leisten kann.

„Goldgrund und Himmelslicht – Die Kunst des Mittelalters in Hamburg“, Kunsthalle und Jacobikirche, bis 5. März; Katalog 39 Mark

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