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Neuer grüner Traum: Schüler mit Laptop

Der Streit um Rationalisierung ist längst vergessen: die Grünen wollen die Schulen digitalisieren  ■    Aus Gütersloh Christian Füller

Noch Mitte der 80er tobte in der Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen der Streit darüber, wie man es mit dem Computer halten solle. Die einen wollten den elektronischen Schreibsklaven unbedingt anschaffen. Andere hielten mit gefährdetem Datenschutz und drohender Rationalisierung dagegen. Zwischendurch wurde der Kompromiss erwogen, auf jeder Etage nur einen Rechner für alle aufzustellen.

Vorbei auch diese Zeit: Jetzt setzen sich die Grünen an die Spitze der elektronischen Revolution. Gunda Röstel, Parteisprecherin, forderte am Wochende auf einem bildungspolitischen Kongress in Gütersloh, dass auch die Schulen endlich mit den neusten Computern ausgestattet werden müssen: „Jeder Schüler in Deutschland sollte einen Laptop bekommen“, sagte Röstel.

Die „Arbeitsgemeinschaft Bildung“ der Grünen ging noch weiter als Röstel. Bei ihrem Kongress „Lernen mit Kopf, Herz und Bildschirm“ forderte die AG, dass nicht nur jede Schule ans Internet angeschlossen werden müsse. Nein, jedes Klassenzimmer solle Verbindung zum World Wide Web erhalten. Die Telefongesellschaften müssten per Gesetz dazu gebracht werden, Schulen kostenlose Internetzugänge bereitzustellen.

Nicht allein wegen der technologiemuffeligen Vergangenheit der Grünen sind das ehrgeizige Ziele. Schon der von Industrie und Politik in der Initiative „Schulen ans Netz“ erhobene Anspruch, die Datenautobahn an jeder Lehranstalt abzweigen zu lassen, ist kaum bis zum Jahr 2001 zu schaffen. Zu behäbig sind die Schulen, von denen bisher nur 20 Prozent elektronische Post verschicken können. Zu hoch sind die Kosten für die High-Tech-Gerätschaft und Verbindung ins Netz. Jeden Schüler aber mit einem eigenen Laptop auszustatten ist eine echte Milleniumsaufgabe. Die Kosten liegen, je nach Seriösität der Schätzung, zwischen 9 und 80 Milliarden Mark. Dennoch sind die Grünen-Pläne weiter gediehen als erwartet. Die Industrie, der Öko-Partei sonst eher feindlich gesinnt, steht diesmal ganz auf deren Seite. Parteichefin Gunda Röstel hat sich mit dem Vorstandschef von IBM-Deutschland, Erwin Staudt, abgestimmt. Auch die Bertelsmann-Stiftung und der Internet-Provider America Online (AOL) unterstützten die Grünen bei ihrem Bildungskongress. „Wir müssen Internet-Zugänge für jede Schule schaffen“, sagte Manfred Bender von AOL-Deutschland.

Parteichefin Röstel musste allerdings den Elan ihrer Bildungs-AG dämpfen. Ein Gesetz, das die Kostenfreiheit der Internetzugänge vorschreibt, habe keine Priorität. Auch die Vorstellung, der Bund werde es sein, der jedem Schüler einen Laptop kostenlos in den Ranzen gebe, sei abwegig: „Der Staat kann das nicht allein finanzieren.“ Aber, so Röstel, „es muss jetzt einen öffentlichen Anstoß zur Computerisierung des ganzen Bildungssektors geben.“

Detlev Schnoor, Multimedia-Beauftragter der Bertelsmann-Stiftung, sagte, was dieser Anstoß den Bund kosten würde: 5 Milliarden Mark jährlich. Den Rest der seiner Rechnung nach benötigten 85 Milliarden Mark sollten Industrie, Sponsoren und Eltern künftiger Computer-Kids beisteuern.

Als Ort für die Bekanntgabe ihrer digitalen Offensive hatten sich die Grünen übrigens eine multimediale Penne ausgesucht. Das Evangelische Stiftische Gymnasium in Gütersloh, von manchen als die modernste Schule Europas bezeichnet, verfügt über Multimedia-Labore. Das schulinterne Datennetz arbeitet teilweise gar nicht mehr über Kabel. Und in den achten Klassen besitzt jeder Schüler – einen Laptop.

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