: Dieses Aufatmen nach dem ganzen Mist“
■ Die SPD-Regionalkonferenz Nord: Sozialdemokratisch ist es, über Holzmann und schwarze Kassen der CDU zu reden. Und über Glogowski zu schweigen. Die Basis applaudiert erleichert
Hamburg (taz) – „Gerhard, Gerhard“, skandieren minutenlang knapp 2.000 SPD-Funktionäre aus Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg zur Begrüßung. Im Hamburger Congress Centrum tagte am Sonntag die vierte Regionalkonferenz der SPD. Dieses Mal waren die Nordländer dran – und dieses Mal war alles anders. Dabei dürfte sich die Rede des Kanzlers nicht sehr von der unterschieden haben, die er schon Ende Oktober bei der ersten Regionalkonferenz in Moers hielt. Aber dieses Mal spricht Schröder mit Rückenwind.
Das Wort von der „sozialen Gerechtigkeit im Sparen“ hat er in jeden dritten Satz eingeflochten, von der „notwendigen Umverteilung von oben nach unten“ gesprochen, die Energiewende „weg von der Kernkraft, aber entschädigungsfrei“ angepriesen und den grünen Koalitionspartner erwähnt, mit dem er so schön „Politik für Arbeit, Bildung und Ökologie“ machen könne. „Geschlossenheit“ verlangt er von seiner Partei und die jubelt brav geschlossen. Als Schröder seine etwa 45-minütige Rede beendet, bebt der Saal vor Applaus.
„Ein Aufatmen nach dem ganzen Mist“, meldet eine Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete. Die im Saal glauben nur zu gerne, dass es eine SPD nach Glogowski gibt und nach der schleswig-holsteinischen Landtagswahl am 27. Februar 2000 weiterhin geben wird. SPD-Spitzenkandidatin Simonis hatte in einer gewohnt temperamentvollen Rede „Schluss mit dem sozialdemokratischen Maoismus – ach Quatsch, den hatten wir ja nie – Masochismus, meine ich natürlich“, gefordert: „Nicht klagen, sondern wagen – das ist Sozialdemokratie“. Sozialdemokratisch ist es, Arbeitsplätze beim angeschlagenen Bauriesen Holzmann zu retten.
Sozialdemokratisch ist es auch, der CDU Spott zu spenden. Das macht Staatsmann Schröder aber nicht selbst, dafür hat er seinen Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering. Dank Kiep und Kohl sei endlich klar, „warum das schwarze Kasse heißt“, höhnt der, und die Basis klopft sich auf die Schenkel. Und Volker Rühe, der Herausforderer von Heide Simonis in Kiel, der war doch Nachfolger des „geständigen Heiner Geißler“, da gebe es nur zwei Möglichkeiten: „Entweder war er General und wusste alles, oder er war nur Sekretär und führte Anordnungen aus – in beiden Fällen“, schlussfolgert Müntefering beifallumrauscht, „darf so jemand nicht Ministerpräsident werden.“
Den Namen Gerhard Glogowski nicht in den Mund zu nehmen, ist ebenfalls sozialdemokratisch. Keiner bringt ihn über die Lippen. Locker loben sie lieber die niedersächsische Landesparteichefin und Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, die auf dem Podium in der ersten Reihe sitzen darf. Mit der „schnellen Bewältigung der Krise“ hätten die Genossen in Hannover „Handlungsfähigkeit bewiesen“, befinden sie und heißen den designierten Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel willkommen. Bulmahn hatte ihn unangemeldet mitgebracht; leicht irritiert wirkend lächelt der 40-Jährige dankbar aus der zweiten Reihe zurück. Und Heide Simonis verspricht „unserem Benjamin“: „Wir werden schon gut auf dich aufpassen.“ Was immer sie in der Nach-Glogowski-SPD damit gemeint haben könnte. Sven-Michael Veit
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