: Wunderland Kindertraum
■ Bremerhavens Stadttheater zeigt „Peterchens Mondfahrt“ für künftige Love-Parade-Schwärmer
Wer kennt es nicht – „Peterchens Mondfahrt“? Ein Märchen aus der Zeit, als die Kinder noch artig sein sollten und keiner Fliege etwas zuleide taten. Maikäfern auch nicht. Bremerhavens Stadttheater-Intendant Peter Grisebach mag an seine eigene Kindheit gedacht haben, irgendwo in den 50-ern, als es noch Haferflockenbildchen mit Peterchens Reisen gab, die mit Feuereifer gesammelt und geklebt wurden; so glänzend wie einen ausgegrabenen Kindertraum inszeniert er in Bremerhavens nüchterner Stadthalle das diesjährige Märchen zur Weihnachtszeit. Dabei scheut er keinen Aufwand.
Sobald Peter (Dietmar Horcicka) und Schwesterchen Anne (Monika Pallua) in ihrem Kinderzimmer zur Schlafenszeit von Maikäfer Sumsemann (Guido Fuchs) heimgesucht werden, der mit ihnen sein vom bösen Mann im Mond gestohlenes sechstes Bein zurückholen will, geraten sie in ein farbenprächtiges Wunderland der Träume. Sie treffen auf einer Sternenwiese den freundlichen Sandmann (Kay Krause), der die Segel in seinem Sternenauto setzt (die Kinder werden aufgefordert zu pusten, rufen aber ganz cool zurück: pustet doch selbst!). Sie treffen die Sternenfee beim Mitternachts-Meeting mit den Naturgewalten. Der Blitz erscheint in Form einer zotteligen, punkigen Hexe, ein schwarzgekleideter Heavy-Metal-Trommler fungiert als Donner, ein Leningrad-Cowboy als Sturmgeist und ein hüftschwingender italienischer Gigolo als Eismann, der auf einem echten Fahrradeiswagen daherkommt.
Danach stopft der Sandmann die Reisegesellschaft in seine riesige Kanone, mit der er sie krachend zum Mond schießt. Dort tanzen Mondlinge in grün leuchtenden Anzügen mit Tarantelarmen, bis der böse Riese, ein Urzeitbarbar, sie mit der Axt vertreibt. Anne und Peter stillen seinen gefährlich großen Hunger mit Lebkuchen, sie finden Maikäfers sechstes Bein, kleben es mit Spucke fest und landen zu Hause im Schlafzimmer: Alles nur ein Traum? Auf jeden Fall ist es in der Fassung des Stadttheaters eine prachtvoll glitzernde Show, und die Fee im Reifrock oder die Sonne mit ausuferndem Strahlenkostüm sehen aus, als kämen sie geradewegs von der Love-Parade oder seien Wiedererweckungen der Disco-Queens der 70-er Jahre.
Ein hohes Lob dem Bühnenbildner Eckehardt Kröhn, ein doppeltes Bravo dem Kostümbildner Stephan Stansic. Würde Regisseur Grisebach die Puppen ein wenig wilder tanzen lassen und den betulichen Originaltext noch mehr beschneiden, wäre dieses Spektakel keineswegs nur für Kinder empfehlenswert. Die fanden es übrigens einhellig „cool“. So aber zeigt das Stadttheater-Ensemble mit seinem Weihnachtsmärchen jenseits aller linken Pädagogik und aller Werte-Bewahrung, was aus Weihnachten geworden ist. Ein Fest des schönen, schrillen Scheins; immerhin schön schrill. Hans Happel
Weitere Aufführungen: 2., 7., 8., 9., 15., 21. Dezember jeweils 9.30 Uhr und 11.30 Uhr, am 8.12 zusätzlich um 15 Uhr, am 3.12. nur um 9.30 Uhr; Karten unter Tel.: 0471/48 20 60
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