: Der Charme der alten Gemäuer
Kulturbehörde: Hamburg Vorreiter beim Recycling alter Industriebauten ■ Von Gernot Knödler
Der Architekt Volker Paetzel wollte „eigentlich ein Nichts produzieren“. Sein Ergänzungsbau zur ehemaligen Maschinenfabrik in der Ottenser Planckstrasse sollte sich zurücknehmen und vor allem die Schmuckziegel-Fassade des alten Gebäudes spiegeln. Dass er nicht ganz so luftig wurde, dafür habe der damalige Oberbaudirektor Egbert Kossak gesorgt. Dieser verordnete dem gläsernen Wohnhaus eine Ecke aus roten Klinkern, die als Klammer die Anmutung der Fassade der Maschinenfabrik aufnehmen. So oder so gilt Paetzels Lösung dem Denkmalschutzamt als Vorbild für ein gelungenes Recycling alter Industriebauten.
Die Beispiele für eine neue Nutzung technischer Kulturdenkmäler sind in Hamburg Legion. Beginnend mit der „Fabrik“ in Ottensen, die 1971 als erstes alternatives Kulturzentrum bundesweit von sich reden machte, über die Werkstatt 3, Kampnagel und das Museum der Arbeit in Barmbek waren es politische und künstlerische Initiativen, die sich der Erhaltung alter Industriebauten widmeten – lange bevor das Thema einen Platz im Herzen der DenkmalschützerInnen einnahm.
Inzwischen sind auch Investoren auf den Trichter gekommen, dass sich mit dem stimmungsvollen alten Gemäuer Geld machen lässt. Wie eine Studie der Kulturbehörde und der Immobilienfirma Jones Lang Wootton 1996 ergab, waren alle umgenutzten Denkmalfabriken zu 100 Prozent ausgelastet, bei einer wachsenden Nachfrage und steigenden Mieten. Große Teile neuer Gewerbehöfe standen dagegen leer. Nach Angaben des Denkmalschutzamtes können die Eigentümer alter Industriebauten überdies 100 Prozent der Kosten für die denkmalgerechte Sanierung von der Steuer absetzen.
Das ist hilfreich, denn das Fabriken-Recycling ist teuer. „Es rechnet sich nur, wenn supergünstig gebaut wird“, sagt Paetzel. Um die Nutzfläche zu vergrößern, setzte er in die Hallen in der Planckstrasse Galerien und Brücken auf rostigeT-Träger. Sie können zusätzliche Computer-Arbeitsplätze und Konferenztische tragen. Im Treppenhaus leuchten die Lichter von LKW-Laderampen.
Der Clou an Paetzels Konzept bestand darin, dem Ergänzungsbau einen gläsernen Wohnarm wachsen zu lassen, der sich quer über das alte Fabrikgebäude von 1911 legt. Der Arm ruht auf kräftigen Säulen, die den Altbau in seiner ganzen Höhe durchmessen – insgesamt eine Idee, die den DenkmalpflegerInnen einiges an Kompromissbereitschaft abverlangte. Der „Kreativität und Moderationsfähigkeit unserer Denkmalschützer“ habe es Hamburg zu verdanken, dass es bei „der Renaissance nicht mehr genutzter Industrieareale bundesweit eine Vorreiter-Rolle“ spiele, lobt Kultursenatorin Christina Weiss.
Ein Beispiel im Bau ist das ehemalige Altonaer Gaswerk von 1895 hinter dem Hermes-Hochhaus. Die Kreditversicherung hätte die Ziegelhallen am liebsten durch neue Büroklötze ersetzt, scheiterte aber am Denkmalschutz. Jetzt ziehen dort ein Design-Hotel, Büros und eine Filiale einer Fitness-Kette ein. Durch die großen Fenster von heute dampften früher Lokomotiven, um Kohle in die Lagerhallen zu transportieren. Die Backsteinpfeiler für die Schienen werden eine Galerie tragen, von der man anderen beim Schwitzen zusehen kann.
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