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Eisgekühlter Sekt mit Markus Wolf

■ In allen Berliner Parteien waren Stasizuträger – selbst in der CDU

Die Stasi war nicht nur überall, sondern auch in West-Berlin. Nach der Recherche des Historikers Hubertus Knabe, der in der Gauck-Behörde über das MfS im Westen forscht, hatte die Stasi ihre Zuträger auch in den Westberliner Parteien. Knabe zufolge waren drei Berliner Bundestagsabgeordnete, mehrere Mitglieder des Abgeordnetenhauses und eine Europa-Abgeordnete Informanten der Stasi. Sowohl bei SPD und CDU wie bei FDP und den Grünen hatte die Stasi Informanten. Knabe nannte gestern folgende Politiker:

William Borm war von 1965 bis 1971 FDP-Abgeordneter im Bundestag und seit 1970 im Bundesvorstand der Liberalen. Angeworben von der Stasi wurde er laut Knabe Ende der 50er-Jahre. Ab 1969 wurde er vom DDR-Agentenchef Markus Wolf persönlich „geführt“. Er starb in den 80ern.

Josef Braun war stellvertretender Landesparteichef der SPD und bis 1966 im Bundestag. Den Stasi-Akten nach plauderte er mit Wolf in einer Villa mit Seeblick bei eisgekühltem Sekt über Willy Brandt und seine Partei. Er erhielt zeitweise 300 Mark monatlich von der Stasi. Braun starb 1966.

Dirk Schneider war von 1983 bis 1985 für die Grünen im Bundestag und dort ihr deutschlandpolitischer Sprecher. Er wurde nach Knabes Informationen als „IM Ludwig“ geführt und lieferte „eingeforderte Einschätzungen“, etwa über Joschka Fischer. Schneider war auch Pressesprecher der AL. Er wechselte später zur PDS.

Im Abgeordnetenhaus lauschte die SPD-Politikerin Ursula Leyk („IM Purzel“) für die Stasi – ebenso ihr Parteigenosse Bodo Thomas („IM Hans“) und Günter Schmidt („IM Zady“) von der CDU.

In Berlin lebte schließlich auch Brigitte Heinrich, die für Bündnis 90/Die Grünen im Straßburger Parlament saß. Von 1984 bis zu ihrem plötzlichen Tod 1987 war sie Europa-Abgeordnete, seit 1982 wurde sie in den Stasi-Akten als „Beate Schäfer“ geführt.

Die tragischste Wendung nahm der Fall von Thomas. Seine Frau soll auch Abgeordnete im Abgeordnetenhaus gewesen sein, auch sie gab Informationen weiter. Während jedoch ihr Prozess wegen geringfügiger Schuld eingestellt wurde, zerbrach Thomas an seiner Vergangenheit: Er nahm sich kurz vor seinem Prozess 1995 das Leben. Philipp Gessler

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