: Gnadenappell für einen Staatsfeind
Seit zwölf Jahren sitzt der israelische Atomspion Vanunu im Gefängnis. Jetzt setzt sich ein linker Parlamentarier für ihn ein. Dass Israel über Atomwaffen verfügt, ist schon lange kein Geheimnis mehr ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul
Der israelische Parlamentarier Jossi Katz (Arbeitspartei/Ein Israel) fordert die Begnadigung des Atomspions Mordechai Vanunu. Katz hatte sich bereits vor gut einem Jahr für den bis dahin in Isolationshaft gehaltenen Vanunu eingesetzt und bewirkte seine Verlegung. Anfang der Woche plante Katz einen erneuten Besuch im Gefängnis, weil, „ich zu der Einsicht gekommen bin, dass zwölf Jahre Haft, davon elf in Isolation, genug sind.“
Katz wollte mit Vanunu über ein Gnadengesuch sprechen. Angesichts von dessen seelischer Verfassung sei „es einfach nicht richtig, ihn weiter zu quälen“. Eine zunächst erteilte Besuchserlaubnis für Katz wurde jedoch kurzfristig mit der Begründung ausgesetzt, man müsse die Rechtslage überprüfen. „Wenn sie mich nicht zu ihm lassen, gehe ich vor den Obersten Gerichtshof“, kündigte Katz gestern an.
Mordechai Vanunu kam in den späten 70er-Jahren als Techniker zum Atomforschungszentrum in Dimona in der Negev-Wüste. Die dortigen Vorgänge gehören zu den am besten gehüteten Geheimnissen Israels. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen gelang es Vanunu, heimlich Fotos in dem Forschungsreaktor zu machen. 1986 verließ er Israel und verkaufte die Fotos an die britische Zeitung Sunday Times. Unmittelbar nach Veröffentlichung der Bilder wurde Vanunu von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad aus Rom verschleppt und nach Jerusalem gebracht. Den Befehl dazu hatte der damalige Premierminister Schimon Peres gegeben, der auch von Anfang an federführend bei Israels Atomprojekt war. Vanunus Prozess in Jerusalem fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Urteil lautete 18 Jahre Einzelhaft.
Teile der Vernehmungs- und Prozessprotokolle wurden jetzt auf Anfrage der Tageszeitung Yediot Achronot veröffentlicht. Zum ersten Mal in der über 30-jährigen Geschichte der Atomforschung in Israel nimmt der Staat Stellung. Von „schwerem Schaden“, den Vanunu der „Atomforschung in Dimona“ zugefügt hat, ist dort die Rede. Das geheime Atomforschungszentrum und seine Mitarbeiter seien „zum militärischen und nachrichtendienstlichen Ziel geworden“.
Das Vernehmungsprotokoll wirft auch Licht auf die Motivation des Atomspions, der sich bereits Jahre vor seiner Flucht aus Israel einer linken Friedensgruppe angeschlossen hatte. „Ich wollte bestätigen, was alle wussten“, sagte Vanunu vor Gericht. „Jetzt kann Schimon Peres nicht länger lügen und sagen, dass Israel keine Atomwaffen hat.“
Vanunus Enthüllungen wurden in den folgenden Jahren wiederholt bestätigt. So schreibt der Ex-Mossad-Agent Victor Ostrovsky in seinem Buch über den Mossd, Israel verfüge über ausreichend Plutonium, „um 150 nukleare und thermonukleare Sprengsätze zu bestücken“.
„Vanunu ist längst kein Sicherheitsrisiko mehr“, meint Jossi Katz, der mit seinem Einsatz für den Atomspion einen nationalen Konsens bricht. Dennoch fordert der linke Politiker, dass die Freilassung an Bedingungen geknüpft wird, wie etwa das Verbot für Vanunu, Presseinterviews zu geben.
Sollte Israel tatsächlich zugeben, Atomwaffen zu haben, sind Verhandlungen über atomare Abrüstung in der Region und die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone denkbar. Bislang lehnte die Regierung in Jerusalem jede Debatte zu diesem Thema ab. Doch die Veröffentlichung der Protokolle aus dem Vanunu-Prozess und Katz' Initiative deuten auf eine langsame Veränderung dieser Haltung hin.
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