: Kleiner Junge, große Krise
Elians Mutter ertrank bei der Flucht aus Kuba, er selber kam durch. Sein Vater blieb in Kuba und will ihn zurück ■ Von Peter Tautfest
Washington (taz) – Ein kleiner Junge steht im Zentrum eines sich ausweitenden internationalen Konflikts zwischen den USA und Kuba, zwischen Fidel Castro und den Exilkubanern in Florida und letztlich zwischen Onkel und Tanten auf der einen und dem Vater des Jungen auf der anderen Seite. Der Sprecher des Weißen Hauses ließ am Montag wissen, man werde ein Ultimatum Castros ignorieren; gleichzeitig erinnerte er die kubanische Regierung an ihre Verpflichtung Diplomaten zu schützen. Fidel Castro hatte riesige Demonstrationen vor der US-Vertretung in Havanna angedroht, sollte Elian Gonzalez nicht binnen dreier Tage nach Kuba zurückgeschickt werden.
Elian Gonzalez, der am Montag seinen sechsten Geburtstag feierte, war von der US-Küstenwache am Thanksgiving-Tag aus dem Ozean gefischt worden. Seine Mutter hatte wie die anderen elf Flüchtlinge je 1.000 Dollar gezahlt, um von einem Schlepper auf einem Aluminiumboot nach Miami gebracht zu werden. Das Boot war wegen Überfüllung auf hoher See gekentert, Elian hatte zusehen müssen, wie seine Mutter mit allen Flüchtlingen ertrank, hatte selber aber, an einen aufgeblasenen Schlauch gebunden, drei Tage im Wasser überlebt.
In Miami nahmen ihn Onkel und Tante auf. Doch da ist noch ein Vater, und der lebt auf Kuba – die Eltern waren geschieden. Der Vater verlangt den Jungen zurück und Castro hat erklärt, dass er in all den Jahren, in denen die USA Kuba zu isolieren versucht haben, noch keinen derartigen Übergriff auf die Souveränität Kubas erlebt hat wie diesen Versuch einem Vater sein Kind zu rauben.
Weißes Haus sagt: Der Vater soll in Florida klagen
Die Exilkubaner machten aus einem Foto des erschöpften Jungen, wie er auf eine Bahre an Land gebracht wird, ein Plakat, das bei den Demonstrationen in Seattle als Beweis für kubanische Grausamkeit herumgetragen wurde. Die Verwandten sehen die Sache so: Die Mutter hat ihr Leben gegeben, um dem Jungen den Weg in die Freiheit zu eröffnen. Ihnen habe der Junge gesagt, dass er in Florida bleiben wolle. Der Vater Elians aber, Juan Gonzalez – der schon sein Auto verkaufen musste, um die vielen Telefonate nach Miami zu bezahlen – und die Großeltern verlangen das Kind zurück.
Die US-Einwanderungsbehörde hat erklärt, dass der Junge die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsgenehmigung erfüllt. Sollte der Vater Einspruch erheben wollen, müsse er vor einem Gericht in Florida klagen, sagt das Weiße Haus. Der Streit ist zum Wahlkampfthema geworden. Bei einer Debatte der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner am Montag in Arizona antwortete John McCain auf die Frage, was er dem Vater raten würde: Der solle auch nach Miami kommen und dort zusammen mit dem Kind in Freiheit leben.
Der Streit kommt den USA und Kuba sehr ungelegen. Am 13. Dezember sollten sich Vertreter Kubas und der USA treffen, um neue Auswanderungs- und Besucherregelungen auszuarbeiten – ein Schritt, um vielleicht endlich die Beziehungen zu normalisieren. 25.000 US-Amerikaner reisen trotz Reiseverbot alljährlich als Touristen nach Havanna. Den USA entgehen nach Auffassung der amerikanischen Handelskammer durch das Handelsembargo jährlich Geschäfte im Milliardenwert.
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