: Abschied von der Opposition
Wo die PDS an der Regierung beteiligt ist, wird Fundamentalkritik schnell durch Pragmatismus ersetzt: Landesfürsten wie Helmut Holter fordern mehr Wirtschaftskompetenz. Ein Ländervergleich ■ Von Nick Reimer
Für Michael Endrich, den sachsen-anhaltinischen Landesgeschäftsführer, ist die Sache klar. „Die PDS ist heute nicht mehr die klassische Oppositionspartei, die sie noch vor kurzem war.“ Ein bisschen mitregieren hier, ein bisschen tolerieren da und ganz viel opponieren – für die Sozialisten ist im Jahr zehn seit ihrer Umbenennung alles drin. Sie sind keine klassische Oppositionspartei mehr, aber was sind sie dann?
Die Antwort führt auf Landesebene, wo sich die dortigen Verbände teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Wichtiges Kriterium ist die Nähe zur Macht. Noch vor einem Jahr war die Herkunft eines Diskussionspapiers aus Sachsen problemlos zu identifizieren.
So radikal war nur die PDS. Der Grund dafür: „Wir waren hier politische Diaspora“, sagt Sachsens Fraktionssprecher Hendrik Thalheim. Weder SPD noch CDU nahmen ernsthaft Notiz von der dritten politischen Kraft im Freistaat. Da wollte man um Aufmerksamkeit werben.
Ganz anders der sachsen-anhaltinische Landesverband. SPD und Grüne hatten ein Minderheitskabinett gebildet, das auf die Unterstützung der PDS angewiesen war. Erstmals kam der PDS eine gestaltende Aufgabe zu. Für Parteistrategen war deshalb immens wichtig, dass die Anhaltiner „keine Dummheiten machen“ – Dummheiten, die das Modell platzen lassen könnten. Die zweite Größe für die Unterschiede der Landesverbände ist das Mobilisierungspotenzial. Während sich die Berliner zu Recht als den Landesverband der „kurzen Wege“ bezeichnen, haben es die sieben hauptamtlichen Regionalgeschäftsführer Brandenburgs erheblich schwerer, mit ihrer Basis zu kommunizieren. „Wenn Berlin an einem Tag zur Demo aufruft, kriegen die am nächsten Tag zehntausend Leute zusammen“, sagt der Brandenburger Landesgeschäftsführer Olaf Balzer. „Wir brauchen dazu erheblich mehr Zeit.“
Extremistische Gruppierungen der PDS –Kommunistische Plattform und Marxistisches Forum – sind vor allem in den Ballungszentren agil. Während es nach Schätzungen der sächsischen Landespartei in Leipzig „so um die 60“ Anhänger der KP geben soll, sind es nach Angaben der dortigen Geschäftsstelle in ganz Brandenburg „weniger als 50“.
Eine weiteres Kriterium für die Unterschiede der Landesverbände ist Pragmatismus. Den Brandenburgern wird nachgesagt, pragmatischer zu sein als die Berliner Nachbarn. „Wahrscheinlich liegt das daran, dass der Landesverband der Hauptstadt mehr ehemalige SED-Mitglieder hat als wir“, so Geschäftsführer Balzer.
Am pragmatischsten agiert die PDS dort, wo sie an Macht beteiligt ist. Als in Sachsen-Anhalt der Umfang der Kinderbetreuung auf Grund der prekären Haushaltslage mit Hilfe der PDS im letzten Jahr gestutzt werden sollte, organisierte die PDS-Basis gegen die eigene Fraktion eine Unterschriftensammlung. Regierungschef Höppner drohte der PDS mit dem Ende des Magdeburger Modells, sollte sie nicht zustimmen. So führten die Landtagssozialisten ihre heilige PDS-Kuh zur Schlachtbank.
Die in Mecklenburg-Vorpommern seit einem Jahr mitregierende PDS holt langsam, was Pragmatismus angeht, gegenüber Sachsen-Anhalt auf. Erst kürzlich analysierte PDS-Landeschef Helmut Holter in einem Strategiepapier die Regierungserfahrungen seiner Landespartei – und forderte weit reichende Konsequenzen für die Gesamtpartei. Die PDS, so der stellvertretende Ministerpräsident, brauche mehr Wirtschaftskompetenz, müsse sich Lösungskompetenz für Zukunftsfragen erarbeiten, die Frage der Anerkennung des Eigentums klären. Die Loslösung von alten Positionen ist unverkennbar.
In Sachsen dagegen gab es bis zur letzten Landtagswahl nur eine kleine Minderheit , die sich einem pragmatischen Kurs verschrieb. Einige PDSler hatten das letzte Wahlprogramm als weder finanzierbar noch realisierbar kritisiert. Es sei an etlichen Stellen schlichtweg populistisch.
Nun, wo die PDS seit der Wahl im September die Oppositionsführerschaft im Dresdner Parlament übernommen hat, scheint sich die Grundstimmung zu ändern. Man ist der Macht ein kleines Stück näher gekommen, also darf man sie sich nicht durch unpragmatische Vorschläge verscherzen.
Unterschiede der Landesverbände ergeben sich natürlich auch durch die politische Herkunft. Zwar ist die PDS im Westen als Sammelbecken für linke Splittergruppen von DKP bis Trotzkisten nach wie vor sehr mitgliedsschwach. In letzter Zeit gewinnen die westdeutschen Landesverbände aber zunehmend enttäuschte Sozialdemokraten und linke Grünen-Sympathisanten als Anhänger dazu.
Die aus Westdeutschland stammende Bundestagsabgeordnete Ulla Lötzer fordert dem entsprechend, dass sich die PDS „mehr linke Erfahrungen der westdeutschen Landesverbände“ zu Nutze machen soll. Das wäre wieder ein Schritt weg vom Pragmatismus.
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