■ intershop: Unsere kleinen, kostenlosen Freunde Von Wladimir Kaminer
Vierzig Minuten lang beobachtete ich einen Pinguin im Fernsehen. Er war richtig klasse, scheute kein bisschen vor der Kamera und benahm sich auch sonst viel aufrichtiger und offener als professionelle Schauspieler, die üblicherweise für die Unterhaltung im Fernsehen zuständig sind. Diese Leute kriegen schweinisch Kohle, erzählt man.
Der Pinguin dagegen macht es umsonst. Mein Freund, der Intellektuelle, sagt, er kuckt nur noch Tierfilme, weil ihm die Menschen auf dem Bildschirm immer zu verlogen daherkommen, mein anderer Freund – der Student – beschwert sich, das man heutzutage wirklich guten bösartigen Sex nur in Tierfilmen finden kann.
Meine Frau guckt gerne Tierfilme, weil sie die Tiere einfach süß findet. Und meine Tochter guckt, weil sie dort alle ihre Lieblingsmärchenfiguren sozusagen live sehen kann.
Ich empfinde dagegen den Sieg des Tierfilms in der Unterhaltungsbranche eher als allgemeines Versagen der menschlichen Zivilisation, die mit ihren Talkshows und Spiegel-spezial-Ausgaben gegen die einfachen Schönheiten der Natur nichts qualitativ Vergleichbares anzubieten hat .
Hunderte amerikanischer, australischer und europäischer Filmemacher stopfen sich ihre Rucksäcke mit teuren optischen Geräten voll und fahren in den Wald, in die Wüste, klettern auf Berge oder tauchen ins Meer.
Sie sitzen monatelang auf einer Palme, verstecken sich im Busch, und drehen, drehen, drehen. Dann erscheint der Pinguin auf dem Bildschirm in meinem Wohnzimmer und demonstriert überzeugender als die professionellen Filmschauspieler Jack Nikolson und Robert De Niro zusammen, was Sache ist.
Die Tierfilme sind nicht nur anschaulicher als die Menschfilme, sie sind auch informativer. Ein Pinguin-Film erzählt mehr als 10 Abendschauen.
Dank meiner Familie gucke ich oft die Tierfilme mit. Seitdem weiß ich über unsere Welt mehr als je zuvor.
Ich weiß, wie viele Liebespartner pro Woche das durchschnittliche Schnabeltier braucht, und wo es dann seine Eier hinlegt, ich weiß, dass die weiblichen Giraffen einen längeren Hals haben als die männlichen und dass eine Zikade bloß 20 Minuten lebt, dafür aber ihre Eier, die sie legt, 6.000 Jahre reifen.
Ich weiß, welche Kakteen welcher Specht zum Nestbau bevorzugt und warum. Ich weiß, wer den kleinsten Magen auf der Welt hat und wer den größten Schwanz.
Die Vorstellung jedoch, dass die tierischen Darsteller für ihre Leistungen keinen Pfennig bekommen, betrübt mich. Der Mensch im Tierfilm ist derjenige, der abkassiert.
Neulich träumte ich, dass wir ein Schreiben von einer Babelsberger Film-Produktiongesellschaft namens Schmücker bekommen hätten – mit einem merkwürdigen Angebot.
Falls wir bereit wären, unseren Chinchilla in einem Pornofilm die weibliche Hauptrolle spielen zu lassen, würden wir als Honorar eine Reise für zwei Personen zu einem exotischen Reiseziel unserer Wahl – mit Hotel und allem drum und dran – für zwei Wochen umsonst kriegen.
Ich hielt das Schreiben für einen blöden Witz, doch meine Frau überredete mich schließlich, bei der Produktionsfirma wenigstens anzurufen und zu fragen, was denn genau unser Chinchilla in dem Film machen solle.
Ja, sagte die freundliche Filmproduktionsleiterin, das kann ich ihnen sagen: laut Drehbuch muss es sich von fünf Zwergkaninchen, in verschiedenen Farben, von hinten vögeln lassen. Ich sagte ihr gleich: nein, das machen wir auf keinen Fall mit – und legte den Hörer auf. Dann war der Traum zu Ende.
Aber seitdem habe ich das Gefühl, dass unser Chinchilla – „Dusja“ – mich ständig vorwurfsvoll anguckt, weil ich ihm seine Filmkarriere versaut habe.
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