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Als hätte es die Pleite von Seattle gar nicht gegeben

■ EU-Kommissare blicken nach vorne: In Genf wird weiter über Agrarpolitik verhandelt. WTO-Treffen sei am amerikanischen Wahlkampf gescheitert, meint Pascal Lamy

Brüssel (taz) – Als die EU-Kommissare Pascal Lamy (Handel) und Franz Fischler (Landwirtschaft) am Montag nach dem erfolglosen Ausflug zum Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) nach Seattle in Brüssel vor die Presse traten, hatten sie schon ausführlich Ursachenforschung betrieben. Schlechtes Timinig, so Lamy, habe vordergründig jeden Verhandlungserfolg blockiert. Denn der Wahlkampf mache es den Amerikanern derzeit unmöglich, in Seattle Farbe zu bekennen, Handelsliberalisierung sei bei amerikanischen Wählern nicht populär. Die Ursachen für das Scheitern der Konferenz lägen aber tiefer: Undemokratisch, wenig effizient, ja „mittelalterlich“ seien die Strukturen der WTO.

Ohne grundlegende Reform, so das Resümee des Franzosen, seien auch in Zukunft keine Ergebnisse zu erzielen. Das bisherige Verfahren, hunderte von Beamten monatelang in Genf Vorbereitungen treffen zu lassen, die dann durch nachgeschobene politische Entscheidungen auf Ministerebene wieder umgeworfen werden, sei Energieverschwendung. Genau umgekehrt müsse in Zukunft gearbeitet werden: Erst eine Ministerkonferenz, die politische Vorgaben beschließt, dann die Detailarbeit der Fachleute.

Lamy unterstützt die Forderung von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsländern nach demokratischeren Strukturen. Auch über ein WTO-Parlament, wie es europäische und andere Parlamentarier in Seattle gefordert haben, müsse nachgedacht werden. Die Universität Manchester ist von der EU beauftragt worden, mögliche Auswirkungen der europäischen Verhandlungsposition auf Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz zu untersuchen. Eine ähnliche Studie planen auch die Grünen im Europaparlament.

Im Gegensatz zu Handelskommissar Lamy glaubt Agrarkommissar Fischler nicht, dass Seattle „an den ganz alten Hüten wie Landwirtschaft, über die wir schon zehn Jahre reden“, gescheitert sei. Tatsächlich wird über den Agrarbereich im Januar in Genf so weiter verhandelt werden, als hätte es die Pleite von Seattle gar nicht gegeben. Im Vertrag von Marrakesch, der die vergangene, 13 Jahre dauernde „Uruguay“-Runde zur Liberalisierung des Welthandels abschloss, ist das bereits festgelegt worden. Die Experten werden prüfen, ob die Agrarbeschlüsse des EU-Gipfels von Berlin mit den Spielregeln der WTO vereinbar sind.

Agrarkommissar Fischler jedenfalls ist entschlossen, sich nicht von den USA ins Bockshorn jagen zu lassen. Gerade kürzlich sei dort ein acht Milliarden Dollar schweres Beihilfepaket für Landwirte verabschiedet worden. Der EU gehe es, so Fischler kürzlich auf einer Konferenz mit beitrittswilligen Ländern in Bratislava, nicht nur „um Getreide, Fleisch und Kartoffeln“. Bei Landschaftspflege, Lebensmittelsicherheit und Tierschutz lege die EU hohe Maßstäbe an. Das Recht auf Sonderregelungen habe das Schlichtungsgremium der WTO in den letzten Jahren mehrfach bestätigt. Er sehe nach dem Eklat von Seattle keinen Anlass, eine schwarze Krawatte zu tragen, denn: „Es gibt immer einen nächsten Tag“. Daniela Weingärtner

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