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Casio-Beats à la Chanson

■ Die belgischen Elektropolitpopper „Ming“ verwirren und verzaubern heute im Knust

„Ich bleib' heut' im Bett“, sang Nena einmal vor vielen Jahren. Auch Ming singen davon, die Nachmittage im Bett zu verbringen. Doch bei Nena hätte das Lied niemals im Bekenntnis „Ich werde niemals arbeiten gehen“ gegipfelt. Die Anklänge an den situationistischen Slogan „Ne travaillez jamais“ sind bei Mings „Dans mon lit“ gewiss nicht unbeabsichtigt. Denn Ming stammen aus dem Umfeld der Brüsseler Hausbesetzerszene; ihre ersten Auftritte hatte die Band in den frühen Neunzigern zusammen mit Anarcho-Punkbands.

Damals hießen Ming noch Les Brochettes und waren zu dritt. Doch nicht nur der seltsame Name (der Langenscheidt bietet als Übersetzung „kleiner Bratspieß“, „Futterhölzchen für kleine Vögel“ und „Ordensschnalle“ an) verwies darauf, dass die Freunde harter Gitarren und gebellter Polit-Parolen irritiert sein würden: Bei den Brochettes sang eine hochstimmige Frau zu Synthesizersounds.

Seit Fred und Nic nur noch zu zweit sind, nennen sie sich Ming und haben unter diesem Namen die Songs des letzten Brochettes-Album teils neu aufgenommen, teils re-mixt. Unter rätselhaften Umständen wurden sie von dem neuen Dresdener Indielabel Doxa entdeckt, das nun mit Miso Mix das erste Album von Ming auch hierzulande veröffentlicht. Und weil es Sitte ist, dass neue Bands in der Promotion einer Szene zugeordnet werden, hat Doxa um Ming eine Dynastie namens „B-électrique“ gegründet. Elektronische Musik aus Belgien also – das weckt eher unangenehme Assoziationen an den Techno-Vorläufer Electronic Body Music.

Aber das wäre eine völlig falsche Fährte: Ming klingen verspielt und melodiös; der Beat stammt aus dem Casio, das Gefühl aus dem Chanson. Und wenn bei „C'est la fête“ die Musik fröhlich piepst und hüpft, verbreitet die Stimme eine Melancholie, die gar nicht zu den Worten „C'est la fête everywhere sur la terre“ passen mag. Doch solche Verunsicherungen sind das Politische an Ming, die sich gleichwohl auch als fantastische Elektro-Popband hören lassen, besonders bei dem japanischsprachigen New-Wave-Hit „HÛto No Chûshin“. Für alle anderen Lieder reicht es, das Schulfranzösisch aufzufrischen, oder man lässt sich einfach von großartigen Melodien verwirren und verzaubern – heute also ausnahmsweise nicht im Bett bleiben, sondern ins Knust gehen! Felix Bayer

heute, 21 Uhr, Knust; 9. Januar, 22 Uhr, Meanie Bar

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