: Türkische Regierung plant Kurden-TV
Außenminister Ismail Cem geht in der „kurdischen Frage“ in die Offensive. PKK-Chef Abdullah Öcalan ist von der Idee begeistert
Istanbul (taz) – Wenige Tage nachdem die EU der Türkei den Weg nach Europa freigemacht hat, ist in Ankara bereits eine heftige Debatte um die Beseitigung des größten Beitrittshindernisses entbrannt. Anscheinend entschlossen, die Europabegeisterung innerhalb der türkischen Bevölkerung zu nutzen, ging Außenminister Ismail Cem in der „kurdischen Frage“ in die Offensive. In einem Interview mit dem Fernsehkanal CNN-Türk sagte er: „Jeder Bürger der Türkei sollte die Möglichkeit haben, in Rundfunk und Fernsehen in seiner Muttersprache senden zu können.“ Erstmals hat damit ein Regierungsmitglied öffentlich ein kurdisches Fernsehprogramm – kurdische Rundfunksender existieren bereits – befürwortet. Bislang können Kurden in der Türkei Fernsehsendungen in ihrer Sprache nur über den der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) nahe stehenden Sender Media-TV via Satellit aus Europa empfangen.
Der Vorstoß von Cem zielt auf den Kern der Debatte um kulturelle Rechte für die kurdische Minderheit. Allerdings will der Minister keine kollektiven Minderheitenrechte einführen, sondern die individuellen Rechte der Bürger verbessern. Was das konkret heißen soll, ist bislang unklar. Die PKK-nahe Tageszeitung Özgür Politika fragte denn auch gleich, was denn „individuelle“ und was „kollektive“ Rechte sein sollen und stellte dann fest: „Wenn individuelles Recht bedeutet, eine Zeitung in der eigenen Sprache zu haben, Fernsehen in Kurdisch und muttersprachlichen Unterricht in der Schule, wäre das eine wichtige Grundlage für den weiteren politischen Kampf.“ Der Vorsitzende der prokurdischen Partei Hadep reagierte geradezu begeistert: „Wir werden eine kurdische Renaissance erleben.“ Auch PKK-Chef Abdullah Öcalan meldete sich aus seiner Gefängniszelle zu Wort und verbreitete die Vision einer „Kulturrevolution, wie in China“. Jetzt käme es darauf an, „kurdische Oasen zu bilden und nach und nach Millionen in diese Sprachinitiative hineinzuziehen“.
Der Vorstoß von Cem, selbst Mitglied der Demokratischen Linkspartei (DSP) von Ministerpräsident Bülent Ecevit, war innerhalb der Regierungskoalition nicht abgesprochen. Dafür sind die ersten Reaktionen durchaus ermutigend. Der Chef des Koalitionspartners Mutterlandspartei (ANAP), Mesut Yilmaz, unterstützte Cem und erklärte mit Hinweis auf die EU: „Wir müssen für alles offen sein.“ Auch Mehmet Ali Irtemcelik, Minister für Europa- und Menschenrechtsfragen, gehört zum Reformflügel, der nun „demokratische Reformen in angemessener Weise verwirklichen will“. Gegen den Vorstoß von Cem wandte sich erwartungsgemäß die ultrarechte Partei der Nationalen Bewegung (MHP). Während Parteichef Bahceli schweigt, drängte sich Transportminister Enis Öksüz nach vorne und pochte darauf, dass jede Nation „eine offizielle Sprache hat“. Im übrigen seien die Kurden Teil der Türkei und man bräuchte deshalb dieses Familienproblem „nicht mit Fremden zu diskutieren“.
Die MHP ist das größte Problem bei den versprochenen demokratischen Reformen. Ihre Basis war bereits vor dem EU-Gipfel in Helsinki frustriert und die Fraktion wird von Parteichef Bahceli nur noch mühsam in Zaum gehalten. Statt eines gehenkten Öcalans sollen die Kurden nun neue Rechte bekommen und die Fremden, die MHP-Gesundheitsminister Durmus schon nach dem Erdbeben im Sommer nach Hause schicken wollte, stehen jetzt erst recht in der Tür. Jürgen Gottschlich
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