Wer wird nun wie entschädigt?

Der Gesetzesentwurf aus dem Hause Eichel ist höchst umstritten. Unter anderem, weil die Opfer zu ihren Lebzeiten nur noch eine Anzahlung bekämen ■ Von Christian Semler

In dem Maße, in dem eine Einigung bei den Verhandlungen über die Entschädigung der Zwangsarbeiter näher rückt, stellen sich dringend zwei Fragen: Wer wird berechtigt sein, gegenüber der Bundesstiftung Ansprüche zu erheben? Und: Wie wird er zu seinem Geld kommen?

Der Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums, der beide Fragen beantwortet, ist unter heftigen Beschuss geraten. Weder wurde er mit dem bündnisgrünen Koalitionspartner abgestimmt noch gab es vorhergehende Beratungen mit den Opferverbänden, den die Zwangsarbeiter repräsentierenden Regierungen noch mit den Anwälten der Opfer. Insgesamt atmet der Entwurf den Geist der Restriktion und des Ausschlusses.

Überblickt man die Kritik, die seitens des Bundesverbandes „Beratung für NS-Verfolgte“, der Bündnisgrünen, der PDS und einer Reihe von Experten in den letzten Tagen geübt wurde, so stimmen sie in folgenden Punkten überein:1. Eine große Zahl von Zwangsarbeitern wird von vorneherein ausgeschlossen. Nicht berücksichtigt sind alle, die auf dem Territorium der von der Wehrmacht besetzten Länder zur Zwangsarbeit gepresst wurden, die „Dislozierten“. Ebenfalls ausgeschlossen bleiben die in der Landwirtschaft eingesetzten Landarbeiter, weil sie nicht dem Kriterium „andere Haftbedingungen“ genügen, insbesondere nicht ständiger Bewachung unterlagen. Letzteres Kriterium wurde nach seinem Bekanntwerden als vollständig wirklichskeitsfremd charakterisiert.2. Wenn dieses Gesetz durchkäme, würden alle Ansprüche wegen NS-Unrechts erlöschen, auch wenn diese nichts mit Zwangsarbeit zu tun haben. Kritisiert wird zudem die Anrechnung bisheriger Leistungen, die vor allem jüdische Zwangsarbeiter treffen würde, die viel zu kurze Antragsfrist von sechs Monaten und die Beweislast, die von den Antragstellern getragen werden und der, vor allem bei der Ghettoisierung, kaum Genüge getan werden kann.3. Der im Referentenentwurf vorgeschlagene Modus, erst 30 Prozent der zu erwartenden Summe auszuzahlen, weil über die endgültige Höhe erst nach der Sammlung aller Ansprüche entschieden werden könne, wird dazu führen, dass viele der Zwangsarbeiter nur noch in den Genuss dieser Anzahlung kommen werden. Eine Mindestsumme sieht der Entwurf nicht vor. Schwacher Trost, dass nach dem Entwurf Ansprüche vererbbar sind, wenn der Berechtigte im Februar 1999 noch am Leben war.

Insbesondere von Volker Beck (Bündnisgrüne) wird bemängelt, dass Bundestag und Bundesrat nur je einen Vertreter ins Stiftungskuratorium entsenden, die Wirtschaft hingegen vier. Abgelehnt wird auch die Rechts- und Fachaufsicht des Finanzministeriums sowie das Zustimmungsrecht des Ministeriums für den Vorstand der Stiftung. Beck spricht von einer Monopolstellung des Finanzministeriums.

Gunnar Heinsohn vom Bremer Institut für Xenophobie- und Genozidforschung hat sich scharf dagegen gewandt, einzelnen Ländern, wie im Entwurf vorgesehen, Quoten zuzuteilen. Hätte man den Zwangsarbeitern ermöglicht, sich direkt an eine Bundesstiftung zu wenden und ihre individuellen Ansprüche vorzubringen, wären osteuropäische „Partnerorganisationen“ ebenso überflüssig gewesen wie die Tätigkeit der amerikanischen Anwälte.