: Vom Ahoi-Salon bis zur Teegesellschaft
Wann ist ein Salon ein Salon? Das weiß so recht keiner mehr. Aber eins ist klar: Die Salons blühen wieder auf ■ Von Tanja Dückers
Es fing in Mitte an. Der bedeutendste Berliner Salon öffnete Anfang des letzten Jahrhunderts seine Pforten in der Jägerstraße. Rahel Levin (die spätere Levin-Varnhagen) war damals gerade 19 Jahre alt. Auch ihre Kollegin Henriette Herz war noch ein Teenager und voller Begeisterung für die neue Sturm-und-Drang-Literatur. Ihre gesellig-kultivierten Abende entwickelten sich bald zum Anziehungspunkt für die unterschiedlichsten Leute. „Nicht die kulturelle Darbeitung, sondern die Gäste waren der Brennpunkt des Salongeschehens“, konstatiert Cornelia Saxe in ihrem in diesem Herbst erschienenen Buch „Das gesellige Canapé – Die Renaissance der Berliner Salons“. Die Salonières, es waren damals immer Frauen, die abseits vom öffentlichen Wirken ihrer Männer zu den privat stattfindenden Salons einluden, hatten dabei die Aufgabe, verschiedene Leute einander bekannt zu machen, Gespräche zu initiieren und ein die Sinne und den Geist anregegendes Ambiente zu schaffen. Zehn bis fünfzehn Salons soll es in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Berlin gegeben haben.
Hundert Jahre später scheint sich, zumindest oberflächlich betrachtet, ein ähnliches Phänomen in der unruhigen und heterogenen Berliner Kulturlandschaft zu finden: Ob im Scheunenviertel oder in Lichtenberg, in Pankow oder Tiergarten, allerorts sprießen Salons jeder Coleur aus dem Boden – literarische, politische, lesbisch-schwule etc. Und diejenigen, die schon eine lange Tradition ausweisen wie der „Ost-westliche Diwan“ (früher Pankow, jetzt Steglitz) und die „Teegesellschaft“ von Nikolaus Sombart finden neue Beachtung. Seit Mitte der Achtziger lädt der Soziologe und Schriftsteller Sombart jeden Sonntag in seine Charlottenburger Wohnung ein – jedoch nur erlesene Gäste. Schon seine Mutter führte – damals in Grunewald – einen Salon.
Längst haben viele auch gerade der jüngeren Veranstalter begriffen, dass sich mit dem elegant und nostalgisch angehauchten Begriff Salon Werbung für ihre jeweiligen Projekte machen lässt. Was so recht unter diesem Fantasienamen zu verstehen ist, scheint den meisten der modernen Kulturaktivisten wenig klar zu sein. Es gibt Salons, die man nur mit Eintrittskarte betreten kann und wo man nach dem Applaus an die auf der Bühne agierenden Künstler wieder allein nach Hause fährt, ohne ein Wort mit jemandem gewechselt zu haben. Oder man steht in einer Disko mit einem teuren Drink herum und fragt sich, was daran jetzt ein Salon sein soll.
In ihrem sehr klugen und instruktiven Buch hat Cornelia Saxe 25 Berliner Kultureinrichtungen und ihre neuen Salonières und Saloniers – heute gibt es auch Männer, die diese „versunkene weibliche Kultur“ (Verena von der Heyden-Rynsch) wieder beleben – kritisch unter die Lupe genommen: Da gibt es Salons, die von studierten Romanisten geleitet werden, welche den Besucher auf einer „Récamiere“ zu sitzen bitten – hier verbindet sich Anspruch auf Fortsetzung der Salonkultur des letzten Jahrhunderts mit einem gewissen elitären Habitus. Und es gibt in der Alternativkultur angesiedelte gemütliche Treffen mal mit, mal ohne Polit-Anspruch wie der literarische Salon in der Schokofabrik „Ruired Velvet“ oder der „Ahoi-Salon“ von Mathilde Lein in Prenzlauer Berg. Ein weiteres interessantes Unterfangen ist Walter Mompers 1996 gegründeter Salon „Berlin-Brandenburg 2000“im Willy-Brandt-Haus, wo man sich wieder auf die alte sozialdemokratische Tugend „Menschen zusammenbringen“ berufen wollte.
Ferner gibt es reine Frauensalons, Kunstsalons („Salon in Beton“ in Marzahn), einen „Unternehmer-Salon“ und natürlich den legendären „Tango Salon“ im Roten Salon der Volksbühne. Eine besondere Blüte treibt zur Zeit der zur Kultveranstaltung avancierte „Salon Oriental“ im Kreuzberger SO 36. Der Club SO 36 hat, nach über zwanzig Jahren Präsenz in der Berliner Alternativkultur, tatsächlich die Kurve von Punkkoncerten über den Electro Ballroom“ bis zur türkischen Disco-Mucke gekriegt. Den „Salon Oriental“ sollte man wirklich einmal besucht haben: Der riesige, manchmal etwas karg anmutende Raum des SO 36 wiegt in mit orientalischen Motiven versehenen Seidentüchern, es erklingt arabische Musik zwischen Traditionell und Trendy, und entsprechend gekleidete Leute, wie man sie sonst nur beim Karneval der Kulturen antrifft, toben wiederum in eher westlich-lässiger Manier herum. „Liebe Lesben, liebe Schwuchteln, lieber Rest“, begrüßt ein im Alte-Damen-Look gehüllter Mann das wild applaudierende Publikum und eröffnet die heutige Mode-Show von Déjà vu, einem Klamottenladen gleich um die Ecke auf der Oranienstraße. Südländisch aussehende Männer führen schillernde Kostüme und Hochzeitskleider vor – die ich allerdings allesamt noch nie auf den Stangen bei Déjà vu entdecken konnte. Das SO 36 ist auch einer der seltenen Szenetreffs für schwule Türken. Nachher gibt es Bauchtanz-Einlagen, von Männern versteht sich. Türken, Kurden, Arab Kids und Schwaben, Homos und Heteros, Transen und Tussen strampeln gemeinsam zu Ethno-Pop. Jedes Multikulti-Herz schlägt hier höher, jeder sieht „das gute alte Kreuzberg“ wieder, welches diepgenungetrübt, millenniumresistent und hauptstadtignorant im Spaß und ohne viel Aufhebens vereint, mischt, verbindet.
Die verschiedenen Spielarten der neuen Salons lassen jedoch, so Saxe, über eines nicht hinwegtäuschen: Nur wenige schaffen eine Atmosphäre, in der sich Unbekannte kennen lernen, in der miteinander diskutiert, gestritten, gelacht, vielleicht sogar etwas Neues auf die Beine gestellt wird. Manchmal steht nämlich nicht der Gast, sondern vielmehr die eitle Selbstinszenierung des Gastgebers im Vordergrund. Der Wunsch, der hinter der inflationären Verwendung des auratischen Begriffs Salon stehe, habe mit dem Bedürfnis, vermeintlich intime Ecken im unübersichtlich gewordenen Berlin zu schaffen, zu tun, resümiert die Autorin. Anzumerken bleibt, dass allein schon die Regelmäßigkeit einiger Veranstaltungen wie zum Beispeil „Britta Gansebohms Literarischer Salon“ im Podewil zu einem sich dort stets einfindenden Kreis geführt hat und somit – wenngleich nicht auf dem Canapé – dennoch Begegnungsstätten besonderer Art geschaffen wurden.Cornelia Saxe: „Das gesellige Canapé – Die Renaissance der Berliner Salons“. Quadriga, Berlin 1999. 239 S., 29,90 DM
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