: Polizei im Kinderzimmer
Ausländerbehörde schickt jetzt BeamtInnen in Kinderhäuser, um minderjährige Flüchtlinge zur Abschiebung abzuholen ■ Von Elke Spanner
Sicher dürfen sich Flüchtlingskinder in Hamburg nirgends mehr fühlen – auch in den eigenen vier Wänden nicht. Die Minderjährigen, die in einem Kinderhaus des Landesbetriebes „Erziehung und Berufsbildung“ (LEB) in Poppenbüttel leben, riss die Polizei gestern morgen um fünf Uhr aus dem Schlaf. Die BeamtInnen wollten den Kurden Sedat A. abholen, um ihn zur Abschiebung zum Flughafen zu bringen. Nicht dort, sondern bei einer Verwandten trafen sie ihn schließlich an. Gestern Mittag startete das Flugzeug in die Türkei.
„In der Unterkunft leben auch Kinder, die durch ihre Erlebnisse im Herkunftsland schwer traumatisiert sind“, sagt Sozialarbeiterin Kerstin Birkoben, die Sedat A. in einer Erstversorgungseinrichtung betreute, ehe er im Juni in das Kinderhaus des LEB zog. „Für sie ist es eine weitere schlimme Erfahrung, wenn die deutsche Polizei frühmorgens Kinder abholen kommt.“
Johannes Richter, Sprecher der Ausländerbehörde, kann die Aufregung nicht verstehen: „Die Polizisten kommen nur, um den Jungen abzuholen und zum Flughafen zu begleiten“, sagt er. „Das ist nichts Dramatisches“. Da Sedat A. unangekündigt abgeschoben wurde, hatte er keine Zeit, seine Ankunft in Istanbul vorzubereiten – etwa Verwandte zu benachrichtigen, damit sie ihn am Flughafen abholen.
In einer Entschliessung des Rates der Europäischen Union von Juni 1997 heißt es, dass Minderjährige nur zurückgeführt werden können, wenn „bei der Ankunft eine angemessene Aufnahme und Betreuung gewährleistet ist“. Dagegen habe die Ausländerbehörde eindeutig verstoßen, rügt der Anwalt von Sedat A., Björn Stehn. Denn das Amt hat nur das Deutsche Konsulat in der Türkei von der Ankunft verständigt.
Zwar behauptet Behördensprecher Richter, die Botschaft würde sich „mit Angehörigen in der Türkei in Verbindung setzen oder den Jungen selbst in Empfang nehmen“. Anwalt Stehn hingegen hat das „noch nie erlebt: Das Konsulat sagt selber, dass es keine Kapazitäten hat, dafür zu sorgen, dass Minderjährige vom Flughafen abgeholt werden“. Vielmehr würden die Botschaftsangehörigen nur die türkische Polizei informieren, die dann zum Empfang bereit steht – und die Jungen erst einmal zur Vernehmung in Haft nimmt.
LEB-Sprecherin Bettina Bormann bedauerte gestern, dass bei der Abschiebung von Sedat A. „die Abstimmung zwischen den Behörden offenbar nicht gelungen ist“. Der LEB werde nun mit der Ausländerbehörde das Gespräch suchen. Das wird auch die mitregierende GAL-Fraktion tun. Die ausländerpolitische Sprecherin Christa Goetsch: „Sollte es sich so zugetragen haben, hat das mit einem humanitären Umgang mit Flüchtlingskindern nichts zu tun“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen