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Macao will Pekings harte Hand

Am Sonntag endet in Macao nach 442 Jahren die portugiesische Kolonialzeit. Zwar gibt China in der Glückspielenklave schon lange den Ton ab, doch jetzt erhoffen sich dort viele ein hartes Vorgehen gegen die Triaden ■ Aus Macao Jutta Lietsch

Ich war zu lang von deiner Brust gerissen, Mutter! Doch sie nahmen nur meinen Körper gefangen. Meine Seele blieb stets bei dir ... Mutter! Ich will zurück zu dir!“, singt ein kleiner Junge im chinesischen Radio. Jeder weiß, wessen Schicksal sein patriotisches Lied beklagt: Das der kleinen portugiesischen Kolonie Macao.

Nun soll die Sehnsucht erfüllt werden: Nach 442 Jahren kehrt die kleine Enklave im Westen Hongkongs jetzt zum Mutterland zurück. Sonntag um Mitternacht wird Chinas rote Fahne über Macao aufgezogen und Portugals Flagge eingerollt. Wenn die BewohnerInnen des Territoriums am nächsten Morgen aufwachen, sind sie Bürger einer chinesischen „Sonderverwaltungszone“ nach dem Vorbild der früheren britischen Kronkolonie Hongkong, die bereits 1997 zurückkehrte.

China wird mit einem Schlag um 430.000 Menschen und 23,5 Quadratkilometer reicher. Fast ein Sechstel dieses Gebietes ist erst in den letzten Jahren künstlich aufgefüllt worden, um mehr Platz für die wachsende Bevölkerung, Hochhäuser, Hotels, Geschäfte und den neuen Flughafen zu schaffen. Dicht drängen sich auf zwei Eilanden und einer Halbinsel, die an die chinesische Sonderwirtschaftszone Zhuhai anschließt, konfuzianisch-buddhistische Tempel, Kirchen und portugiesische Kolonialbauten. Unübersehbar sind die Kasinos, allen voran das berühmte „Lisboa“, das wirtschaftliche Herzstück Macaos. Dessen Besitzer ist der alte Stanley Ho. Auf seinen Schreibtisch hat Ho ein Foto von sich und dem chinesischen Staats- und Parteiführer Jiang Zemin. Das Glückspiel allein sorgt für fast sechzig Prozent des gesamten Einkommens von Macao, was auch künftig so bleiben soll.

Für die Übergabezeremonie wurde eigens eine riesige transparente Halle aus Stahl und Glas errichtet. Mit rund 2.500 Politikern und Gästen aus aller Welt wird die Feier mit Pomp und Feuerwerk das Ende einer Ära begehen: Portugals Präsident Jorge Sampaio wird Gelegenheit haben, über die Geschichte seines Landes nachzudenken, das einst zu den reichsten und mächtigsten der Welt zählte. Vor über fünfhundert Jahren waren portugiesische Seefahrer und Händler als erste Europäer nach Asien vorgedrungen. Jetzt verlässt Lissabon die Region als letzte europäische Kolonialmacht, froh, alles hinter sich zu haben.

Chinas Jiang hat gut lachen: Er hat eine zweite Hürde auf dem Weg zur nationalen Einheit genommen, der mittlerweile wichtigsten ideologischen Rechtfertigung für die seit 50 Jahren dauernde KP-Herrschaft. Nach Hongkong und Macao fehlt jetzt nur noch das widerspenstige Taiwan.

Anders als in Hongkong hat es im verschlafenen Macao kaum Widerstand gegen die neuen Herren aus Peking gegeben. Denn faktisch regierten Chinas Vertreter bereits hinter den Kulissen. Gegen sie konnten und wollten die Portugiesen nichts ausrichten. Schon während der chinesischen Kuluturrevolution 1966 und nach der portguiesischen Nelkenrevolution 1974 wollte Lissabon Macao zurückgeben. Aber damals bat Peking die müden Kolonialherren um Geduld. China wollte erst Hongkongs Rückkehr erreichen.

Macaos politisches Klima war gedämpft. Für ein ordentliches Rechtssystem und demokratische Institutionen, in denen ihre Bewohner verankert waren, sorgte die Kolonialmacht nie. Wer Debatten über Menschenrechte oder Demokratie folgen wollte, gute Schulen und Anwälte suchte, ging schon immer eher nach Hongkong. Wer hingegen Wein trinken, portugiesisch essen, Stierkampf gucken oder zocken wollte, für den war Macao richtig.

Die Portugiesen heirateten fröhlicher und offener als die Briten in Hongkong in chinesische Familien ein. So entstand eine Gruppe euroasiatischer Mischlinge, die 15.000 Macanesen. Lissabon kümmerte sich aber immerhin um jene, die sich vor der Herrschaft der Kommunistischen Partei fürchteten. Über die Hälfte aller Bürger Macaos sind in der Volksrepublik geboren, doch anders als die Briten vergaben die Portugiesen relativ freizügig portugiesische EU-Pässe. Inzwischen haben fast ein Viertel der Bewohner Macaos, dessen Bevölkerung kleiner als die Leipzigs und größer als die Wuppertals ist, diese Ausweise. Ein eigenes „Grundgesetz“ soll für fünfzig Jahre die Autonomie der künftigen Regierung von Edmund Ho gegenüber Peking garantieren.

Viele Bewohner Macaos sind froh über den Regierungswechsel. Dabei sehnen sie sich weniger nach der Mutterbrust als der harten Hand Chinas: Sie hoffen, dass Peking mit der chinesischen Mafia – den Triaden – aufräumt. Bandenkämpfe um das lukrative Casinogeschäft führten in den letzten Jahren dazu, dass die ohnehin von der Asienkrise getroffene Wirtschaft einbrach. Autobomben und Schießereien verschreckten die Touristen und Spieler aus der ganzen Region. Die als korrupt verschriene Polizei war unfähig, die Gewalt zu beenden. Ruhiger wurde es erst vor kurzem, als die Behörden den Triadenboss Wan Kuok-koi zu 15 Jahren Haft verurteilten. Auf der anderen Seite der Grenze, in Zhuhai, wurden unterdessen Triaden-Mitglieder zum Tode verurteilt und gleich hingerichtet.

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