: Tobsuchtsanfall für Hanni und Nanni
André Minninger schreibt die Drei-???-Bücher. Noch lieber allerdings bastelt er daraus Hörspiele. Schon als Kind wusste er, dass er das einmal machen würde ■ Von Gernot Knödler
André Minninger hat sie alle. In dem zwei mal zwei Meter-Cassetten-Regal an der Wand seines Arbeitszimmers stehen ganze Serien von Hörspiel-Cassetten: Drei ???, TKKG, das Tiger-Team und die Jungs von der Burg Schreckenstein. Den Alfred-Hitchcock-Aufsteller zu den Drei ??? hat er gerade hinterm Schrank verstaut. Dafür wartet vor dem Bett Tim ohne Struppi im offenen Mantel, die Hände relaxt in den Hosentaschen. Die Ottenser Wohnung des Mittdreißigers steht voller Devotionalien zur Comic- und Kinderkultur. Doch Minningers wahre Leidenschaft besteht darin, solchen Figuren Leben einzuhauchen. Vorzugsweise akustisch, als Hörspiel.
„Ich wusste ja schon als Kind, dass ich das werden muss“, sagt der dünne Mann mit der großen Nase und den halbrunden schwarzen Augenbrauen. „Wenn ich im Kaufhaus war, hab ich mich auf den Fußboden geschmissen und mir Hanni und Nanni-Platten erschrien“, erinnert er sich ein wenig erschrocken über sich selbst. Zum Beweis häuft er nach und nach einen Stapel Bücher und CDs, alte und neue, selbst geschriebene und selbst gelesene auf den Küchentisch.
Er hörte die Dinger, bis er sie auswendig nachbeten konnte und darüberhinaus. Er malte Bilder dazu und wendete die Cover unzählige Male in seinen Händen. Dabei las er auch den Namen der Frau, die diese Wunderwerke herstellte: Heikedine Körting.
Zwölf oder dreizehn Jahre alt sei er gewesen, als er zum ersten Mal bei ihr anrief und um eine Sprecherrolle bat. Keine Chance: Sein Övelgönner Akzent, die Melodie in der Stimme – das komme bei den Kindern überhaupt nicht an. Ob er nicht wenigstens ein Praktikum...? Nein, Heikedine Körting brauchte niemanden, überhaupt niemanden.
Doch der kleine André konnte das unmöglich akzeptieren: „Ich hab immer gedacht: Wenn das nicht klappt, kann ich mir einen Strick nehmen.“ Der Junge fing an zu nerven. Er schraubte Tonbandcassetten auf und ersetzte das Tape durch ein Papierband mit fortlaufendem Text: „Warum kann ich nicht bei Ihnen arbeiten?...“ Er malte ihr Bilder und zu ihrem Geburtstag ließ er fünfzig SchauspielerInnen Glückwünsche auf Band sprechen. „Ich dachte immer, die muss doch wissen, dass vor ihr ein Genie steht“, erinnert sich Minninger.
Nach vier Jahren intensiven Generves rief Körting plötzlich an: „Komm vorbei, Du nervst so. Um acht, sei pünktlich.“ Da war Minninger 17, sein Leben wie ein Hollywood-Film: Der Hörspiel-Aspirant durfte Schnee schippen, den Müll runtertragen und zur Belohnung dann vielleicht noch 'ne Stunde ins Studio.
Heute sieht er sich als Teil eines harmonischen Teams mit der Regisseurin. Das CD-Booklet macht ihn für „Buch und Effekte“ verantwortlich. Gemeinsam tüfteln sie an der Atmosphäre der Hörspiele – einer Kombination aus Geräuschen, Musik und Raumakustik. Fast immer seien sie sich einig. „Die Chemie stimmt“, resümiert Minninger.
Wenn er sich eine Geschichte selbst ausdenkt und nicht bloss fürs Hörspiel bearbeitet, beginnt er mit einer Anfangssituation, deren Rätsel er dann zu lösen versucht. Oft fällt ihm erst beim Tippen ein, wie die Geschichte weitergehen könnte. Dafür hört er vor seinem geistigen Ohr bereits die Schauspielerin, die eine bestimmte Rolle sprechen müsste. Auch Leute mit bekannten Namen, wie Judy Winter oder der verstorbene Fernseh-Bösewicht Horst Frank, sind in der Regel bereit, so einer Hörspiel-Cassette Farbe zu verleihen. Außen auf dem Cover erscheinen ihre Namen nicht. „Das ist wie ein Überraschungsei“, sagt Minninger.
Für die Hörspiel-Geräusche gibt es in der Firma ein Archiv. Wenn das nicht genügt, zieht der Autor selbst mit dem Mikrofon durch die Straßen. Die Latte hängt hoch: „'Ne Spielothek klingt heute anders als vor 20 Jahren“, sagt Minninger. Und eine Telefonzelle ebenso. Zur Not wird im Studio improvisiert: „Wir rutschen auf dem Fußboden 'rum, zerreißen Stoff.“
Dass die Sprecher der drei Fragezeichen Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich inzwischen zu gestandenen Familienvätern ausgewachsen haben, merkt dagegen kein Kind. „Die Amis haben uns einen Riesen-Gefallen getan“, sagt Minninger und betrachtet ein Studio-Foto von sich und drei Sprechern Anfang vierzig. Als die Serie in den USA eingestellt und deshalb Geschichten speziell für den deutschen Markt geschrieben wurden, nutzte der Verlag die Chance: Die pubertierenden Detektive alterten zu 18jährigen mit Freundin und Führerschein und konnten auf diese Weise auch in Deutschland glaubwürdig agieren.
Den Pseudo-Autorennamen „Alfred Hitchcock“ behielt der Verlag als Markenzeichen bei. Die Hälfte seiner Tantiemen müsse er dafür an die Erbin des großen Regisseurs überweisen, sagt Minninger. Bei den Büchern von Enid Blyton läuft es ähnlich, wie Minniger mit einem weiteren Demonstrationsexemplar aus seinem Regal beweist. Die Erfolgsautorin ist schon lange tot. Weil aber ihre Figuren, etwa die Fünf Freunde, noch so präsent sind, hat allein Minninger sie in vier Hörspielen zum Leben erweckt – leicht modernisiert allerdings. „Wenn ich das heute lese“, kritisiert er die Originale, „dann find ich das heute schon ziemlich hardcore“. Jungs und Mädels schliefen getrennt; die Mädels durften nicht auf Bäume steigen. „Frauenfeindlich“, findet das der Hörspiel-Künstler.
Und der Maßstab dessen, was so ein Hörspiel attraktiv macht, das ist der Autor selbst. „Ich mach' die Dinger letztendlich für mich“, reflektiert Minninger. „Wie würd' ich das als Kind gerne hören?“ Dabei scheint in den vergangenen 20 Jahren der Unterschied zwischen den Generationen verschwunden zu sein. Die Hälfte der Cassetten-Käufer ist älter als 23 Jahre.
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