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„Ein Signal gegen die Festtagslogik“

Linke Gruppen wollen Silvesterfeiern in der Hauptstadt stören: Eine Gruppe namens „Mitesser“ kündigt an, sich unter dem Motto „Eat with the rich“ an den Büffets von dreizehn Millenniumspartys zu bedienen. Innenverwaltung und Veranstalter zeigen sich gelassen ■ Von Dirk Hempel

„Greifen wir zum Besteck und gehen wir hin, wo die Wurst hängt. Rücken wir denen auf die Pelle, die es dicke haben.“

Zu Silvester schaut man „Dinner for One“, betrinkt sich oder böllert wild in der Gegend herum. Wer es sich leisten kann, geht teuer essen, und wem das nötige Kleingeld fehlt, der bleibt daheim – oder protestestiert. Unter dem Motto „Eat with the rich“ wollen linke Gruppen die teuersten Silvesterbuffets in Berlin stören.

Sie nennen sich „www.mitesser.de“ und kündigen in der aktuellen Ausgabe der Autonomen-Zeitung Interim an, zum Jahreswechsel „zum Besteck zu greifen“ und dorthin zu gehen, „wo die Wurst hängt“. In dem Aufruf heißt es weiter: „Rücken wir denen auf die Pelle, die es dicke haben“ und „Statt individuell abkotzen, kollektiv mitessen“.

Die unbekannten Esser, die vielleicht über einen zügellosen Appetit, aber keineswegs über eine Homepage unter diesem Namen verfügen, benennen 13 Millenniumspartys in der Stadt, an deren Buffets sie sich einen „Teil der uns stets vorenthaltenen und uns abgepressten Beute zurückerobern“ wollen. Als vermeintliche Unterstützer werden unter anderem „Oskar und Christa Müller“, PDS-Bezirksgruppen, die Obdachlosenzeitung Motz und die Spaßguerrilla „Kreuzberger Patriotische Demokraten/Realistisches Zentrum“ (KPD/RZ) aufgeführt.

Doch weder der Verein „Motz und Konsorten“ noch die KPD/RZ wissen von ihrem Glück. Die Kreuzberger Bezirksverordnete Nanette Fleig von der KPD/RZ: „Da müssen uns ehemalige Mitglieder druntergesetzt haben, die mittlerweile in den Untergrund gegangen sind.“ Auch die „Antifaschistische Aktion Berlin“ (AAB), die von Innensenator Eckart Werthebach (CDU) als Urheber von Störaktionen bezeichnet wurde, hat nach eigenen Angaben nichts mit der Mobilisierung zu tun: Sie hätten zwar versucht, eine Demonstration zu organisieren, seien aber an fehlender Unterstützung gescheitert, so ein AAB-Sprecher. Dennoch begrüße die Gruppe „jede Aktion, die sich gegen die offiziellen Feiern richtet“.

Die Mitesser mit ihren vermeintlichen Mitstreitern sind keineswegs die einzigen Linksradikalen, die in Berlin aktiv werden wollen. Vor allem im Bezirk Mitte hängen Plakate, die zu Silvester „Chaostage in Berlin“ ankündigen. „Kaufhäuser beklaun“ und „den Bon(n)zen das Fest versaun“ heißt es da.

Im Internet mobilisieren linke Gruppen für die Nacht zum 1. Januar 2000 auf einer Seite der Universität Trier „gegen Großmachttaumel und Ausgrenzung“. Erklärtes Ziel der nicht näher benannten Veranstalter: „Deutschland in den Wind schießen“. Die offiziellen Feierlichkeiten sollen „gebührend“ beantwortet werden. „Es gilt, an diesem Tag ein Signal gegen die Festtagslogik zu setzen. Ein Signal gegen Führung, Elite und Großmachttaumel der Berliner Republik“. Gemeinsam ist den Aufrufen vor allem eins: Auf die Angabe eines Versammlungsortes oder einer Uhrzeit wird verzichtet – mit Ausnahme der traditionellen Silvester-Kundgebung linker Gruppen vor dem Gefängnis im Stadtteil Moabit.

Dem Staatsschutz ist zwar schon länger bekannt, dass es in der Silvesternacht zu Aktionen der linken Szene kommen könnte. Doch weil die Experten das „weder hoch- noch runterspielen“ wollen, halten sie sich äußerst bedeckt. Klar ist nur: Dem Polizeipräsidium liegt derzeit keine Anmeldung für Protestaktionen am 31. Dezember vor.

Die Sprecherin der Innenverwaltung, Isabelle Kalbitzer, geht daher von einem „eher ruhigen“ Silvesterabend aus. Während man im Sommer noch mit Aktionen gerechnet habe, lägen derzeit „keine konkreten Hinweise“ vor. Auch die „Silvester in Berlin GmbH“, die einen Großteil der Events in der Innenstadt organisiert, zeigt sich gelassen. Dort glaubt man nicht, dass jemand ohne Karte beispielsweise ins Festzelt am Reichstag hineinkommt, wo eines der teuersten Feste steigt. Der Eintritt kostet 1.999 Mark.

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