: Demokratie à la Lukaschenko
Trotz gegenteiliger Ankündigungen geht der weißrussische Präsident weiter gegen Oppositionelle vor. Das Helsinki-Komitee kann ein Lied davon singen ■ Aus Minsk Barbara Oertel
Mächtig erhebt sich im Zentrum von Minsk der Gefängnisbau auf einer Anhöhe, verbarrikadiert durch hohe Mauern und somit geschützt vor den Blicken Neugieriger. Dagegen nimmt sich das Oberste Wirtschaftsgericht Weißrusslands, das gleich daneben liegt, eher bescheiden aus. Heute ist hier das weißrussische Helsinki-Komitee für Menschenrechte zur Audienz geladen. Zweimal innerhalb weniger Tage erhielt das Komitee im März dieses Jahres vom Justizministerium Verwarnungen. Das reicht normalerweise aus, um einer regierungsunabhängigen Organisation im Reich von Staatspräsident Alexander Lukaschenko den Garaus zu machen.
Genau der gleichen Zahl von Verwarnungen bedarf es, damit einer Organisation ihre erneute Registrierung verweigert werden kann. Diese Schikane hat sich das Regime ebenfalls in diesem Jahr einfallen lassen, um den wenigen Exponenten einer Zivilgesellschaft das Leben schwer zu machen. Aus gutem Grund: Immerhin steht die Legitimität Lukaschenkos, der sich im November 1996 in einem fragwürdigen Referendum mit unbegrenzten Vollmachten ausstatten und seine Amtszeit bis 2001 verlängern ließ, auf einer mehr als wackeligen rechtlichen Grundlage.
Die Neuregistrierung hat das Helsinki-Komitee im September bekommen. Doch Klage gegen die Verwarnungen wurde trotzdem eingereicht, aus Prinzip.
In dem Saal thront, in der Mitte des hufeisenförmigen Tisches, die Richterin, zu ihrer rechten Seite haben drei Vertreter des Helsinki-Komitees Platz genommen, gegenüber sitzt eine Vertreterin des Justizministeriums. Tatjana Protsko, Vorsitzende der Helsinki-Gruppe, hält ein Plädoyer über die Bedeutung regierungsunabhängiger Organisationen für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Die Abgesandte des Ministeriums nimmt die Ausführungen eher gelangweilt zur Kenntnis. Dann sagt sie: „Wir tun alles dafür, dass sich der dritte, nichtstaatliche Sektor entwickelt, aber nur unter Einhaltung der Rechtsordnung.“ Und rattert zahllose Vorschriften herunter.
Die Richterin vertagt die Verkündung des Urteils auf den folgenden Tag. Das Verdikt: Eine Verwarnung wird zurückgenommen. Oleg Gulak, einer der führenden Köpfe des Helsinki-Komittees, ist zufrieden. „Für uns“, sagt er, „ist das ein großer Sieg.“ Davon können Weißrusslands wenige Oppositionelle nicht viele verbuchen. Und das allen voreiligen Ankündigungen, auch in westlichen Medien, zum Trotz, die bei Lukaschenko unlängst demokratische Anwandlungen ausgemacht haben wollten. Da hatte der ehemalige Chef einer Kolchose, unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit für Europa (OSZE), grünes Licht für einen Dialog mit der Opposition gegeben. Als Ziel waren unter anderem faire Parlamentswahlen und der Zugang der Opposition zu den staatlichen Massenmedien benannt worden.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Repressionen gegen Oppositionelle gibt es nach wie vor. So schränkt ein neues Dekret die Demonstrationsfreiheit nochmals erheblich ein. Protestiert werden darf nur noch an bestimmten Orten – Stadtzentren sind davon ausgenommen – und nur gegen Entrichtung horrender Beträge.
„Bis jetzt hat Lukaschenko in keiner Weise gezeigt, dass er wirklich an einem Dialog interessiert ist. Im Gegenteil: Vieles wurde in den vergangenen Monaten noch schlimmer“, sagt Gulak. Auch die Freilassung von Ex-Premierminister Michail Tschigir nach mehrmonatiger Untersuchungshaft hält Gulak für eine reine Formalität. „Damit soll auch der internationalen Gemeinschaft Sand in die Augen getreut werden“, sagt er.
In diesem Jahr seien beim Komitee 600 Beschwerden über Verstöße des Staates gegen Bürgerrechte eingegangen. Doch dem kann Gulak auch etwas Positives abgewinnen: „Das zeigt auch, dass immer mehr Menschen eine Vorstellung davon entwickeln, dass ihre Rechte verletzt werden, und auch bereit sind, sich für deren Verteidigung einzusetzen.“
Dennoch hält sich Gulaks Optimismus in Grenzen. Zumal der Verfolgungswahn des Regimes mit dem Verschwindenlassen mehrerer Oppositioneller in diesem Jahr eine neue Qualität erreicht hat. „Der psychologische Druck auf alle wächst“, sagt Gulak. „Wenn man sogar hochrangige Politiker verschwinden lassen kann, lässt das für den Normalbürger nur den Schluss zu, dass ihn niemand schützen wird.“
Zumindest eine der verschwundenen Oppositionellen gab jetzt ein Lebenszeichen aus dem Ausland von sich. In einer Erklärung, die die oppositionelle Zeitung Belorusskaja Delovaja Gazeta in der vergangenen Woche abdruckte, meldete sich die ehemalige Zentralbankchefin Tamara Winnikowa zu Wort. Winnikowa war nach über zweijähriger Untersuchungshaft und anschließendem Hausarrest im April spurlos verschwunden. „Jetzt bin ich in Sicherheit, und nichts bedroht mein Leben“, heißt es in der Erklärung. „Ich sollte sterben, aber nur der Allmächtige half mir dabei, das Schicksal abzuwenden, das die Staatsmacht für mich vorgesehen hatte.“
Zumindest dämmert es jetzt auch der OSZE, dass es mit Lukaschenkos viel beschworener Dialogbereitschaft nicht allzu weit her ist. Vor wenigen Tagen äußerten sich Vertreter der Organisation besorgt über den schleppenden Verlauf des Dialogs, der immer noch nicht richtig begonnen habe.
Die Fakten sprechen für sich: In der vergangenen Woche wurde der ehemalige Parlamentsabgeordnete Andrej Klimow, der zwei Jahre in Haft sitzt, zu einer Verhandlung ins Gericht geprügelt. Zwei Tage später wurde der Chef der freien Gewerkschaft, Michail Marynitsch, bei einer Kundgebung verhaftet und dabei krankenhausreif geschlagen. Mit ihm wurden fünf weitere Gewerkschaftler festgesetzt. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen