Ist er erstmal nackt, der Techno

■ Verkomplizierung des Techno-Prinzips durch Minimalisierung? Wie das geht, zeigen die House-Labels „Kompakt“ und „Dial“ im Phonodrome

Was ist los in Köln? Muss eine Stadt, die so in aller Munde ist, nicht bald daran ersticken? Das Seattle der Elektronik, das Bristol des Techno?

Natürlich nicht und noch viel mehr, denn was würde Kön tun, wenn es König von Deutschland wär? Fragen, die kein Kölner beantworten kann. Klar: Köln ist Kult, Klüngel, Kleinstadt, Kaos. Von außen beschaulich übersichtlich, charmant. Von innen beunruhigend, laut, vernetzt und zersetzt. Stadt der Ansprüche, Kultur der Widersprüche. Elektronisch geht die Welt zu Grunde und wird mit Kölsch dahingeschwemmt. Nach uns das Hochwasser. Zwischen Spex und Sex, Karneval und Dom, Klischees zum Leben und Sterben. Schließen sie die Fenster, denn Kölner Musikanten sind in der Stadt.

Das Phänomen Köln berechnet sich im Grunde aus der Verbindung zweier unabhängiger Koordinatenachsen. Da wäre zunächst die schwer greifbare, aber um so mehr emotional erfahrbare Seele jener nordrheinwestfälischen Kleinstadt mit tatsächlich einer Million Einwohnern, die weder Metropolenstatus nach Berliner Definition, nicht bautenreiche, blaublütige Schönheit und Reichtum der Münchner Art, noch großbürgerlichen Handels- und Hafenbombast wie in Hamburg für sich beansprucht. „Köln ist ein Gefühl“, singt der Kölner in einem seiner zahlreichen Volkslieder und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Groß sind die Herzen in Köln und wer das wahre Ausmaß dieser Stadt bemessen möchte, der fühlt es in den schmalen Gassen des Sozialen. Zwischen den Menschen tobt hier das Leben, die Liebe und eben, genau, die Kultur. Achse Nummer Zwei: Die Kunst-, Kultur- und neuerdings vor allem Medienlastigkeit in Köln ist seit vielen Jahrzehnten Bestandteil jedweder Betätigung rund um Museen, Galerien, Kunstvereine, Kneipen, Clubs und Fernsehsender. Das mag nach tendenziöser Standortwerbung klingen, gemeint ist jedoch schlicht das Fundament, auf dem hier agiert wird. Köln ist nicht nur Gefühl, es ist bienenfleißiger, leicht narzistischer Haufen Mensch, der mitunter fast manisch einer irgendwie gearteten kreativen Ader freien Lauf lässt, der unbedingt ständig etwas „machen“ will und soll und muss. Nicht aus Langeweile, sondern aus Leidenschaft, fast Besessenheit.

Die explosionsartige, aber dennoch schon seit langer Zeit vorhersehbare Entwicklung elektronischer Musik aus Köln, ihre ästhetischen Botschaften, ihre Quantität und Qualität, schließlich die Art und Weise, in der am Rhein interdisziplinär und intersubkulturell musikalische Kooperationen, kleinklüngelige Deals und Trinkgelage vonstatten gehen, lässt sich aus all diesen grob skizzierten Vorbedingungen ableiten. Arbeitswut, Sendungsbewusstsein, Sozialarbeit: Der Sound of Cologne.

Einer dieser nimmermüden Kölner Kreise, vielleicht mitunter etwas lauter oder positiv gesagt charismatischer als ihre Nachbarkollektive, nennt sich Kompakt und wer diesen Namen und die dahinter- und danebenstehenden Protagonisten nicht ob ihrer zeitweilig überbordenden Präsenz in Musikmagazinen, Feuilletons und auf jedem zweiten Flyer landauf landab kennegelernt hat, dem kann ich nur die nachträgliche Nachforschung ebenda empfehlen, noch einmal durchdefiniert wirds heute nicht.

Nur soviel, zur Auffrischung: Kompakt. Plattenladen, Versand und Vertrieb, Familienbetrieb. Miterfinder und Spezialist des Techno-Subgenres „Minimal Techno“, kurz „Minimal“ genannt. „Minimal“ ist die Verkomplizierung des eigentlichen BummBumm-Prinzips mittels dessen Vereinfachung. Entkleidung, Enteuphorisierung, Reduktion. Ist er erstmal nackt, der Techno, lässt er sich hernach wieder wie ein Weihnachtsbaum schmücken. Poplametta, Ravekugeln, Acidbasteleien. Alles im Programm. An dieser Aufgabe rackern eine Anzahl von etwa zehn Kölnern und nochmal so vielen externen Produzenten und DJs, releasen Platten wie andere Leute Tageszei-tungen und feiern Parties wie andere nur einmal im Jahrtausend.

Mit dem DJ, Musikjournalisten und eben auch Kompakt–Mitarbeiter Triple R kommt dieser Tage einer der engagiertesten Kölner Techno-Vorantreiber nach Hamburg. Seit gut zehn Jahren schreibt er Texte und Kritiken für Frontpage, DE:Bug oder Spex, legt rund um den Erdball Platten auf und hat sich nicht zuletzt durch seine charmante Unermüdlichkeit keinen allzu geringen Respekt in den Clubs und Zirkeln des Landes erworben. Was Sie erwarten dürfen? Nichts. Was der Kölner gibt? Alles. Tobias Thomas

 Kompakt/Dial-Labelparty mit Triple R., Köln/Kompakt rec., DJ Lawrence, Hamburg/Dial rec. und C. Jost, Hamburg/Dial rec.,

Phonodrome, So 25. Dezember, 23 Uhr