Oh lodernd Feuer, oh göttliche Macht

Aus uns würden später drei Schauspieler werden, gar kein Zweifel. Meine Schwester, mein Bruder und ich – die Schauspieler-Geschwister, das klang doch gut. Unser Durchbruch sollte „Quo vadis?“ werden, in der eigens von uns geschriebenen Bühnenfassung. Mein Bruder, der damals etwas zum Dicklichsein neigte, gab einen veritablen Nero ab. Ich hatte mir die Rolle des glutäugigen Marcus Vinicius gesichert. Meine Schwester spielte alle Frauenrollen, was immer bei den Szenen problematisch wurde, bei denen sich Lygia und Eunice begegneten.

Geübt wurde abends unterm Dach, heimlich natürlich, denn ein bisschen peinlich wäre uns das schon gewesen, von unseren Eltern in Toga und Tunica aus Gardinenstoff erwischt zu werden, wo wir doch schon schwer auf dem Weg zum Erwachsenendasein waren. Jeden Abend brannte Rom bei uns unterm Dach, und nur der Vinicius fuchtelte unbeholfen mit einem Kinderbillard-Queue als Schwert-Ersatz in der Luft herum, arg amateurhaft. Also wanderte ein Plastikschwert auf den weihnachtlichen Wunschzettel, das wurde auch auftragsgemäß geschenkt, und nachdem Oma ihren Standardsatz: „Ist sowieso mein letztes Weihnachten“ angebracht hatte und die Eltern ins Bett geschickt waren, marschierten die Laiendarsteller unters Dach, und warfen sich in römische Kluft.

Es muss in dem Moment gewesen sein, als Nero die Lyra schwang und dichtete: „Oh lodernd Feuer, oh göttliche Macht“, als Tigellinus, der Chef der Prätorianergarde, rollenwidrig ausrief: „Ich glaub, ich höre Schritte auf der Treppe.“

Improvisation ist alles im darstellenden Gewerbe, also schnell raus aus dem antiken Wams und rein in den Pyjama, was nicht ganz so einfach war, weil an den Kostümen hartnäckige Broschen steckten. Das geht also alles viel zu langsam mit der Folge, dass die Tür aufging und Oma in ihr stand. Sie erblickte eine nackte 16-Jährige auf der Suche nach ihrem Nachthemd, zwei 12- und 9-jährige Jungs, die sich die Bettdecke übergeworfen hatten und nur mit der Nase noch unter ihr hervorschauten. Was sich eine 78jährige Paderborner Katholikin dabei denken kann, mochten wir uns gar nicht so recht ausmalen.

Mussten wir auch nicht lange. Dem Satz: „Das hätte ich von euch nicht erwartet“, folgte eine knallende Tür, und die Schritte wurden leiser. Dann knallte die nächste Tür, und es erklangen die Glocken des Bamberger Doms. Immer wenn Oma beleidigt war, hörte sie Weihnachtsplatten.

„Quo vadis“ ist nicht mehr zur Aufführung gelangt. Peter Ahrens