Der Zweite Feiertag
: Belehrung

Trommel, Pfeifen und Gewehr, Fahn’ und Säbel und noch mehr, ja, ein ganzes Kriegesheer möcht’ ich gerne haben“, heißt es in dem schönen Weihnachtslied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Es wurde von unbekannter Feder um 1778 zu Papier gebracht – in einer Zeit also, die „verlogen“ war, „mit fragwürdigen Klischees und drastischen Prügeleien“ („Tuxedo Warrior“, 1.00 Uhr, Vox).

Heutzutage werden unsere fragwürdigsten Wünsche von rauschebärtigen Programmdirektoren erhört, die „Hohoho“ rufen, „auf dem Zweiten“ besser sehen, uns „drücken“ wollen und wissen: Zu den traditionellen Pfeilern allweihnachtlicher Festtagsstimmung – Besinnlichkeit und Langeweile – muss erst das Fernsehen sich gesellen, dann ist das apokalyptische Triptychon komplett: eine weiß rauschende Weihnacht, „wunderschöne, zuweilen atemberaubende Bilder, aber ein schwaches Drehbuch“ („Wie ein Blatt im Wind“, 20.15 Uhr, Kabel 1).

TV-Verächter halten sich die Ohren zu und barmen, das Fernsehen sei ein medialer Notausstieg bei familiären Havarien und liefere gerade genug optische Reize, um das nachmittägliche Dämmern nicht ins Koma abgleiteten zu lassen. Doch wer solcherlei Gedanken hegt, der „bleibt dabei unreflektiert und verliert zusehends an Bedeutung“ („Vertrauter Feind“, 20.15 Uhr, Sat.1).

Unterdessen wird dabei ausgerechnet der christliche Hintergrund der ganzen Veranstaltung in Mitleidenschaft gezogen. Wenn wir heute Weihnachten feiern, dann tun wir das „äußerlich konventioneller und leidenschaftsloser als die berühmten Vorgänger“ („Jane Eyre“, 20.15 Uhr, Vox): Maria, Josef, das Kind, selbst Herodes war damals mit mehr Originalität und Engagement bei der Sache. Eben daran könnte es liegen, dass die Geschichte von Jesu Geburt bisweilen „naiv im Erzählduktus, brutal in einigen blutigen Effekten, schludrig im Drehbuch, sprunghaft und verwirrend in der Inszenierung“ („Pocahontas“, 18.15 Uhr, Vox) geraten ist. Gewiss, auch die Weihnachtsgeschichte hat ihre „spannungsvollen Momente“ („Dein Partner ist der Tod“, 1.25 Uhr, Pro 7). Man denke da nur an die Heiligen Drei Könige. Wir wissen: Sie sind schon unterwegs. Wir wissen auch: Sie bringen Geschenke. Aber welche? Nur die mageren Spezialeffekte, allen voran der „Stern zu Bethlehem“, hätten mehr Sorgfalt verdient: „hier wollte einer Spielberg spielen, gereicht hat’s nur zum Spielhügel“ („Joey“, 14.10 Uhr, Pro 7).

Schwamm drüber, besser machen. Das ist ja der Sinn der Übung: Das heilige Fest in den eigenen vier Wänden so zu gestalten, dass es familiären Werten zu neuem Auftrieb verhilft. Weder „sentimentale Komödie“ noch „buntscheckige Knatterklamotte“ sollte es also sein, sondern ein Fest, „das dem Wunsch nach der Herrschaft der Poesie und dem Sieg des Schönen über Gewalt und Zerstörung Ausdruck verleiht“ („Das letzte Einhorn“, Heiligabend, 20.15 Uhr, RTL 2). Dass es in der Realität oft anders, schlechter aussieht, hat soziale Gründe und ist keineswegs dem Fernsehen zu schulden. Vor allem in aufgeklärten, gründlich entmystifizierten Haushalten ist die Versuchung besonders groß, Weihnachten nonchalant als „laute Satire aufs heile Familienleben“ zu inszenieren, „die die Weihnachts-Rituale in Slapstick-Comedy verwandelt“ („Hilfe, es weihnachtet sehr“, 15.00 Uhr, RTL). Dünn ist das Eis, auf dem unsere Konventionen Schlittschuh laufen. Darunter gähnen Abgründe. Vor allem in Familien, in denen nachhaltig „an Selbstfindung und aufrichtige Liebe appelliert“ wird, „sprengen bald die sado-masochistischen Szenen jeden Rahmen und stellen sich selbstzweckhaft und spekulativ in den Vordergrund“ („Nightlife in Tokio“, 23.10 Uhr, RTL 2).

In Häusern mit schiefem Segen dagegen droht Gefahr von ganz anderer Seite: Wo Geld-, Ehe- oder Alkoholprobleme regieren, werden die Feiertage gerne mit beiläufiger Routine abgespult, „chargierende Akteure, reichlich Gewalt und Zugaben von Soft-Sex runden die Billig-Produktion ab, die zwecks Kostendämpfung viel Material“ von früheren Weihnachten verwendet („Mindbreakers“, Heiligabend, 22.00 Uhr, Vox). Die Menschen? Nur noch „recht farblose Darsteller“ („Unschuldige Lügen“, 22.20 Uhr, Vox), Statisten im eigenen postrituellen Theater. Im Publikum sitzt einsam der Weihnachtsmann, hat quadratische Augen und summt das alte Lied: „Doch du weißt ja unsern Wunsch, kennst ja unsre Herzen. Kinder, Vater und Mama, auch sogar der Großpapa, alle, alle sind wir da, warten dein mit Schmerzen.“ Arno Frank

Kursiv gesetzte Passagen sind zitierte Filmkritiken aus der Programmzeitschrift Gong