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Hilfe, ihr himmlischen Heerscharen!

Der Bürgermeister verwüstet die Antike, die Stadtverwaltung stochert in Baugruben, Denkmalschützer zetern und der Vatikan schweigt: Das heute beginnende „Heilige Jahr“ der katholischen Kirche bringt Rom lauter Unheil ■ Aus Rom Werner Raith

Nun, wo sie ihre eigenen Märtyrer platt walzen müssten, heben die Kurialen unschuldig die Augen: Das sei ja nun wirklich nicht Sache des Vatikans

Wenn Adriano La Regina derzeit vor die Kameras tritt oder irgendwelche sonstigen Medienleute sichtet, bekommt sein Gesicht eine eigenartige Doppelfunktion: Einerseits die hohe Stirn zwischen den grauen Schläfen in tiefernste Falten gelegt, weil „derzeit unwiederbringliches Kulturgut verloren geht“; andererseits zwei Augen, die geradezu vor Triumph strahlen: Seht ihr, ich hab's doch immer gesagt. So viel Erfüllung seiner düstersten Prophezeiungen hatte sich wohl nicht einmal er selbst zu erträumen gewagt, der in seiner Funktion als Superintendent für die Archäologie Roms seit Jahren gegen die scheinbar allmächtigen Windmühlen des Vatikan und der römischen Statdverwaltung unter dem angeblichen Grünen Francesco Rutelli kämpft. Doch nun steht er obenauf, und seine Gegner krümmen sich und suchen mit allen möglichen Mitteln, ihre vormalige Präpotenz irgendwie zurechtzubiegen.

Grund für die rasante Umkehr der Verhältnisse ist die Entdekkung gleich mehrerer ausgezeichnet erhaltener antiker Bauwerke just in dem Gebiet, wo derzeit ein gigantischer Omnibusparkplatz für die Pilgermassen des kommenden Heiligen Jahres entsteht. Gleich hinter dem Vatikan, am früheren Proletarierhügel Gianicolo, stießen die Planierraupen bei der Ausschachtung eines Tunnels Anfang August auf eine römische Villa. Bürgermeister Rutelli, der als Regierungskommissar für die Bauarbeiten zum Heiligen Jahr fungiert, vermochte den Aufschrei der Altertumsschützer – vor allem den La Reginas – damals noch als „lächerliche Aufblähung“ abzutun: „Allenfalls ein ländliches Anwesen“ sei das, meinte er, und die paar Fresken könne man ja schnell ablösen und in Museen verfachten. Jedenfalls nichts, was die Untertunnelung des Ganicolo und die Bauarbeiten zum Parkplatz gefährden könnte.

Doch Ende November stießen Beobachter der Umweltschutzorganisation Italia nostra zusammen mit Reportern und Wissenschaftlern am Stadtrand auf eine regelrechte Kippe von antiken Gegenständen – Freskenteile, Amphorenscherben, kleine Schmuckstücke, hingekarrt aus just der Zone der Parkplatzbauten am Gianicolo. Laut Rutelli war das freilich nur „wertlose Dutzendware“. Das bestritten die Archäologen zwar sofort, aber noch immer behielten die Parkplatzbefürworter die Oberhand.

Anfang Dezember kam dann der ganz große Knaller: Als die Archäologen genauer verfolgten, wo man die antiken Scherben gefunden und „in ganzen Wagenladungen“ – so die Archäologin Silvana Rizzo – weggekarrt hatte, stellte sich heraus, dass man nicht irgendeine vielleicht wirklich nur modeste Villa zu zerstückeln begonnen hatte, sondern einen der ältesten christlichen Friedhöfe Roms. Weil die Christen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung nicht sonderlich gut gelitten waren, hatten sie ihre ersten Kirchen in Trastevere und ihre Grabstätten auf dem Gianicolo jenseits des Tiber angelegt. Nicht umsonst steht auch die Peterskirche just in dieses Gebiet. „Doch nun“, zürnt der Staatssekretär im Ministerium für öffentliche Arbeiten, Gianni Mattioli von den Grünen und an sich ein Parteifreund von Bürgermeister Rutelli, „zerstören wir für das Heilige Jahr wegen der Millionenaufmärsche von Pilgern die letzten Ruhestätten der ersten Christen: absurd“.

Rutelli aber will nicht nachgeben. Für ihn sind sowieso fast alle, die für Schonung des alten Rom werben, geltungssüchtige Schwärmer, die „ein Meer von Lügen verbreiten“. Ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen hat der Bürgermeister durchgesetzt, dass Grünzonen zubetoniert und ganze Viertel umgebaut werden, dass der Untergrund für völlig überflüssige Projekte aufgewühlt wird und U-Bahnen projektiert werden, die nach dem Heiligen Jahr wahrscheinlich allenfalls noch als Champignon-Zuchtanlagen dienen. Er ist ein überehrgeiziger Gigantomane, von dem längst keiner mehr weiß, warum er sich noch als „Grüner“ bezeichnet.

Doch selbst wer sich auf Rutellis Seite schlägt, weil er – sicher zu Recht – ein totales Chaos befürchtet, wenn nächstes Jahr die von der Kirche ohne irgendwelche Rücksicht auf die Fassungskraft des engen Stadtkerns von Rom und des Vatikans festgelegten Messen und Massenaudienzen stattfinden, kann sich bei den meisten Projekten nur an den Kopf greifen. So erweist sich just der Mega-Parkplatz, der nun die Christengebeine überwälzt, als besonderer Geniestreich. Die Anfahrt ist so gestaltet, dass die Busse, kaum aus dem Tunnelloch heraus, eine enge 180-Grad-Wende vollführen müssen, um auf die Rampe zu kommen. Selbst wenn jeder Bus nur zwei Minuten bis zum Rampenende brauchen würde, wären bei den 680 geplanten Parkplätzen mehr als 22 Stunden nötig, bis alle eingefädelt haben.

Der Streit hat inzwischen die Regierungsebene erreicht. Hochgradig emotional verlangt Rutelli von Kulturministerin Giovanna Melandri, die das zweitausend Jahre alte archäologische Gut für wichtiger hält als das nur einmalige Jubeljahr, uneingeschränktes grünes Licht für den Weiterbau des Parkplatzes und droht, den Vatikan höchstselbst zu mobilisieren.

Der allerdings tut in gewohnter Weise so, als ginge ihn das alles nichts an. Zwar waren es die Kirchenoberen, die derlei Superprojekte ohne Rücksicht auf die Kosten ausgeheckt und auf ihre Umsetzung gedrängt haben – der italienische Staat, den das Heilige Jahr eigentlich gar nichts angeht, musste bereits bis jetzt an die anderthalb Milliarden Mark zuschießen. Doch nun, wo sie ihre eigenen Märtyrer platt walzen müssten, heben die Kurialen unschuldig die Augen: all das sei ja nun wirklich nicht Sache des Vatikanstaates; dessen Grenzen verliefen schließlich deutlich vor dem strittigen Gelände. Und daher werde man sich auch nicht „einmischen“.

Unterdessen fehlen der Stadt Rom wegen der Mega-Projekte Geldmittel und Arbeitskräfte an vielen anderen Stellen. Die notwendige Instandhaltung und Renovierung der U-Bahnhöfe kommt nirgendwo voran. Am Hauptbahnhof Termini weisen handgeschriebe Papptafeln auf die Umwege zu den verschiedenen Abfahrstellen der Metropolitana hin; in den Haltestellen fehlten die Beleuchtungen, dafür hängen ungeschützt elektrische Drähte in Kopfhöhe herum. Selbst alte Hasen des öffentlichen Nahverkehrs staunen immer wieder, wo Busse sie entladen oder an welchen Stellen sie an die Oberfläche kommen, wenn sie die U-Bahn verlassen. Vor den großen Stationen stapeln sich Müll- und Plastiksäcke zu wahren Bergen, weil bei den Absperrungen ziemlich regelmäßig eine Anfahrtschneise für die Müllabfuhr fehlt, gleichzeitig aber den Anwohnern und Geschäften ringsum das Ablagern von Krempel nicht untersagt ist – niemand wüsste ja, wohin sonst mit dem Abfall.

Auch die Regierung ist unentschlossen, wie es weitergehen soll. Einerseits fürchtet sie den Bannstrahl aus Sankt Peter, wenn sie einige der Projekte stoppt – und das bei derzeit sowieso höchst gespannter Situation, weil der Vatikan vehement eine Vollfinanzierung seiner privaten Schulen verlangt. Andererseits ängstigt sich die Administration des Linksdemokraten Massimo D'Alema aber auch vor dem Verdikt der intellektuellen Elite des Landes, die das Heilige Jahr sowieso größtenteils für faulen Zauber und Pilgerabzockerei des Vatikans hält und jede Tonscherbe, die dafür zerdeppert wird, als Beitrag zum Untergang abendländischer Kultur ansieht.

So hat man sich in Rom denn auch wieder auf die bewährteste aller „Lösungsmethoden“ besonnen: Alles bleibt offen. Zwar hat das Kabinett inzwischen entschieden, den Tunnel zu bauen. Aber Kulturministerin Melandri kündigte umgehend an, dass der Bau gestoppt wird, falls bei den Grabungen neue archäologische Funde gemacht werden.

Alles wie gehabt. Das fröhliche Chaos regiert weiter. Den einzigen Unterschied spürt wohl Superintendent La Regina. Bis vor kurzem war er alleiniger Sündenbock für alle Verspätungen – kaum eines der gut 80 Projekte wird rechtzeitig zum Beginn des Heiligen Jahres am 24. Dezember 1999 fertig, und Rutelli hatte sich gut auf den Archäologiehüter eingeschossen, selbst wenn der gar nichts für Streiks und Pfusch am Bau konnte. Nun aber verfügt La Regina plötzlich über ganze Bataillone von Mitstreitern. Und umgekehrt steht sein vormaliger Chefankläger Bürgermeister Rutelli im Regen.

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