: Bidet und Pessoa
Weihnachtliche Abenteuer in Lissabon und im Handwaschbecken, Teil 2
Im Austausch gegen das kompetent überschwemmte Zimmer erhielten wir ein frisches. „Verwüsten! Verwüsten!“, kicherte Gisela Güzel albern; ich lächelte etwas gequält, doch die freundlichen Wirtsleute, die nicht einmal theoretisch ahnten, was „verwüsten“ bedeutet, nickten aufmunternd. Dies musste wohl Frau Güzel missverstanden, ja in den falschen Hals bekommen haben; jedenfalls leerte sie diesen Hals schon bald komplett aus, und das tragischerweise ins Bidet.
Ins Bidet brechen aber geht gar nicht. Bidet bedeutet Zivilisation. Als die Deutschen, die damals Germanen hießen, noch in jene dunklen Wälder schissen, in die Hitler und seine Leute sie ein paar Jahrhunderte später wieder zurücktrieben, und sich ihre schmutzigen Hintern mit fauligem Laub abwischten, saß das als gottlos geschmähte Morgenland auf dem Bidet und wusch sich vorbildlich untenrum. Möse, Schwanz, Analfalte, alles. Über die Mauren kam das Bidet nach Spanien und Portugal. Der Siegeszug des Bidets aber endete am Rhein; nicht wenige Erben der Germanen glauben noch heute, in einem Bidet wüsche man Salat oder die Füße.
Und in solch ein kulturelles Kleinod unter den sanitären Anlagen hatte Gisela Güzel hineingebrochen! Sie war untröstlich; ach, wäre es doch nur das Handwaschbecken gewesen! In ein Handwaschbecken, für viele männliche Hotelgäste ohnehin nicht viel mehr als ein besseres Urinal, darf man ruhig einmal hineinbrechen. Ich habe vor Jahren in Wien in ein Handwaschbecken hineingebrochen; unbeabsichtigt zwar, aber in ein fremdes – in das von Harry Rowohlt, der mir darüber hinaus wenige Minuten zuvor das Leben gerettet hatte.
Aus einem Lokal voller Haider-Anhänger mit Schäferhunden, in das wir unserer Abneigung gegen moderne Szenekneipen wegen versehentlich geraten waren, hatte mich Harry Rowohlt herausgeschleppt und in sein Hotelzimmer gebracht; im Gegenzug brach ich ihm ins Waschbecken. „Und das ist der Dank!“, mag er gedacht haben, fragte aber nur: „Warum brichst du nicht ins Klo? Das ist doch direkt daneben.“ Woraufhin ich, mit dem Handrücken den Mund mir wischend, ihm geantwortet haben soll: „Das mache ich dann als nächstes voll.“
Frau Güzel und ich aber säuberten das Bidet, so gut es eben ging, ließen anderntags viel Geld im Zimmer und verschwanden heimlich, still und leise. Nach dem aus der Wand gehebelten Waschbecken auch noch ein missbrauchtes Bidet zu gestehen, das brachten wir einfach nicht fertig.
Auf der Suche nach ähnlich schönen Abenteuern waren nun Frau Aldenhoven, Herr Klink und ich in Lissabon unterwegs. Doch die Stadt war geschlossen, so sehr wie sie auch durchquerten. „Hügelig ist Lissabon, die Wade wird schön stramm davon“, ächzten wir. Aus der Puste, fuhren wir ein bisschen mit der Elektrischen, jener schnittigen Straßenbahn, die so matchboxautoartig in die Kurven geht, dass man nicht glaubt, die nächste Biegung zu überstehen. Es gelingt aber immer.
Eines aber gelingt nicht: an Heiligabend in Lissabon etwas Essbares aufzutreiben. Die dreieinhalb Menschen, die an diesem kaltwindigen Abend unterwegs waren, blieben ebenso stumm wie der bronzene Fernando Pessoa. Auch er konnte der kleinen Heiligen Familie nicht helfen. Nach drei Stunden endlich fanden wir ein Lokal, in dem alle Verlorenen der Stadt zusammengewürfelt hockten. Bei der Kaschemme handelte es sich um einen tristen Glutamat-Chinesen, der verbrannte Speisen, fuseligen Wein und holländisches Verbrecherbier verkaufte. Vincent Klink, unser Jesuskind, nahm es sportlich biblisch und warf alles Angebotene freudig in sich hinein. Und konnten Josef und Maria, also Frau Aldenhoven und ich, da zurückstehen? Wiglaf Droste
(Lesen Sie morgen aber wirklich Teil 3: Das gekreuzigte Kaninchen)
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