Couchpotato’s Fernsehjahr

Das TV-Geschehen 1999: Notiert, sortiert und alphabetisch eingemottet ■ von Harald Keller

Ally McBeal – Das Comeback des Jahres. Auch der Spiegel ließ sich nicht lumpen und bedachte die Serie im Oktober 1999, karge achtzehn Monate nach Allys Deutschlanddebüt, mit einer wohlwollenden Erwähnung. Eine Geistesgegenwart, die in Kreisen hingebungsvoller Auto-McBealisten schallendes Gelächter auslöste.

Big Brother – Unterhaltungs-Show niederländischer Herkunft. „Lass dich überwachen“, wie es in Anlehnung an Rudi Carrell heißen könnte.

Comedy – Früher hatten wir davon zu wenig. Heute auch. Denn zum Lachen ist das nicht, was unter diesem Etikett so feilgeboten wird. Zum Glück aber schicken die Amerikaner dann und wann Care-Pakete mit so leckeren Sachen drin wie „Ally McBeal“. Auch „Frasier“, „Die Nanny“, „Friends“ und viele andere können sich sehen lassen.

Docu-Soap – Das Abfilmen von Alltäglichem wurde Anfang des Jahres heiß gehandelt, inzwischen aber kalt vergessen. Niemand mochte echte Seife sehen.

Einkäufe – Mit David E. Kelley heimste in diesem Jahr der Erfinder und Produzent der auch in Deutschland gern gesehenen Serie „Ally McBeal“ die zwei wichtigsten Emmys ein – für die beste Komödienserie („Ally McBeal“) und die beste dramatische Serie („The Practice“). Pro 7, Sat.1, Vox, die ihr doch stets auf beschwingte und kluge Zuschauer aus seid – warum habt ihr „The Practice“ und Kelleys neue Serie „Snoops“ (mit immerhin Gina Gershon) nicht längst im Programm, statt euch Dutzendware wie beispielsweise „Drei stahlharte Profis“ aufschwatzen zu lassen?

Folianten – Jedes Jahr hat seine Foliantenbebilderung, mal ist’s „Der Laden“, mal der „Klemperer“. Viel schief gehen kann dabei nicht – der Stoff hat sich bereits bewährt, wird via Sepiafilter todschick aufbereitet, und wenn’s gegen die Nazis geht, darf sowieso keiner maulen über derartige Konsensstreifen. Größer ist die Leistung derjenigen Autoren, die sich frisch und wach mit der Gegenwart auseinandersetzen. Wie es zum Beispiel David E. Kelley in seinen Serien tut, deren eine den Titel „Ally McBeal“ trägt.

Gala des Jahres – Als solche avisierte RTL die zeremonielle Verleihung der deutschen Fernsehpreise. Genau besehen aber war es eine Reminiszenz an die große Zeit des deutschen Kinos, eine Nacht der langen Nasen also: Es ragten und rückten fortwährend ins Bild die Herrschaften Thomas Gottschalk, Steffi Graf, Mike Krüger, Ingolf Lück, Bärbel Schäfer, Theo West ... Die beste, weil gar nicht so gemeinte Pointe der Veranstaltung übrigens war die charmante Ansage: „Der Journalist vom Scheitel bis zur Sohle: Ulrich Meyer!“

Headsets – Einst war das kabellose Mikrofon größter Stolz der Fernsehplauderer, dann das Knopfmikro am Revers. In diesem Jahr aber stülpten sich alle ein Headset über die durch wasserfeste Glasur gegen jegliches Verrutschen gefeite Haartracht. Nötig wurde dies, weil kaum noch ein Moderator sich ohne direkte Regieanweisung in seiner eigenen Sendung zurechtfindet.

Inselwochen – Sommers rückt das Fernsehen jetzt gern aus und lungert auf Mallorca. Einige Teams kamen gar nicht mehr zurück, sondern blieben in der ewigen Sonne und nähren sich seither von investigativen Reportagen mit Titeln wie „Busen, Bestien, Bettvorleger“, die ihnen RTL 2 gern in größter Stückzahl abkauft. Der Versuch einer Mallorca-Soap fand hingegen nicht die nötige Beachtung und musste kurzerhand abgesetzt werden. Unverdrossen aber streicht auch das ZDF über die Insel und versucht sich mit der neuen Serie „Denninger“ an einer Art „Magnum auf Mallorca“. Die Ergebnisse der Ermittlungen werden nächstes Jahr ans Tageslicht kommen.

Jahrhundertwochen – So einfach wie in diesem Jahr war es noch nie, den angesammelten Ramsch unter ein großspurig tönendes Motto zu packen. Diese Zeiten sind nun vorbei. Zum Glück.

Konvergenz – 9. März 1999. Das ZDF zeigt: „37 Grad: Das Model und die Armen. Bibi Russell, der Engel von Bangladesch“ (22.15 Uhr). Am selben Tage, 30 Minuten später. Pro 7 zeigt: „Die ProSieben Reportage: Ein Playmate in der Hölle – Eine Frau, die Kindern in den Slums von Haiti hilft“.

Lindenstraße – Der Deutschen liebste Zone ist in die Krise geraten. Werden im Jahr 2000 endgültig die Mauern fallen? Hoffentlich nicht, schließlich könnte man doch ein paar Karussells hineinstellen, Würstchen feilbieten und teuer Eintritt nehmen.

Mambo No. 5 – Kein Fernsehringelpiez, in dem nicht Lou „One Hit Wonder“ Bega und seine leicht geschürzten Tänzerinnen die Stimmung anheizten. Und im Frühherbst sah man ihn dann bei NBC in der „Tonight Show“. Aber ewig ungeklärt bleiben wird wohl die Frage: Was wurde eigentlich aus Mambo eins bis vier?

Naddel – Wurde in die Aufklärungsreihe „Peep“ implantiert und stöckelt seither privat wie beruflich storchenbeinig in den zarten Fußabtritten ihrer Vorgängerin Feldbusch einher, deren Status als First Lady des deutschen Fernsehens freilich niemals in Frage stand.

Okularschaden – „Lauter versehrte Helden“ entdeckte der Spiegel im Herbstprogramm. Namentlich die ihrer Sehkraft Beraubten hatten es ihm angetan. Selbst seherisch begabt, gewahrte das lustige Leitmedium schier Unglaubliches: „Wiederholt versetzt sich die Kamera in die subjektive Perspektive ihres Opfers.“ Da die gemeinte Person blind war, muss dann wohl Schwarzfilm abgespult worden sein. Barer Unfug also, aber das Fachblatt epd medien plapperte blindweg nach: „Auch die Kamera wählt in diversen Szenen die subjektive Perspektive des Blinden.“ – Drei Punkte auf knallgelbem Grund für diese Hochleistungsanalyse.

Paradigmenwechsel – Die Sportasse und Schwerathleten aus der „100.000 Mark Show“ und die Mutprobanden aus der „Glücksspirale“ weinten bittere Zähren – so viel Zeit, Training und Nervenstärke hatten sie aufgeboten, in der neuen RTL-Show „Wer wird Millionär?“ aber kassierten ein paar zufällig ausgewählte graue Mäuse mit ein wenig Allgemeinwissen die Tausender gleich bündelweise. Und kamen dabei nicht einmal ins Schwitzen.

Quotensprung – Mit einem imposanten Hechtsprung ergatterte Rupert Murdoch die Rechte an der Champions League und schlenzte sie passsicher zum früheren „Frauensender“ tm3. Eine unbezahlbare Vorlage für Komödianten und Kabarettisten jeder Couleur.

Reihenfolgen – Nicht aufgepasst haben die Mitarbeiter von Vox, als seinerzeit in der „Sesamstraße“ die Zahlenreihe durchgenommen wurde. Wie anders wäre zu erklären, dass die letzten Episoden der Serie „Homicide“ in der Abfolge Nr. 55, Nr. 51, Nr. 52, Nr. 53, Nr. 54, Nr. 46, Nr. 54 verabfolgt wurden? „Leider kein Einzelfall“ (Eduard Zimmermann). Bei RTL2 reicht das kleine Einmaleins ohnehin nur bis Sex, da kann man nicht so viel falsch machen. Und beim großen Bruder RTL kündigte man mutig neue „Balko“-Folgen an, zeigte aber – noch mutiger – lediglich alte Episoden. Nur gut, dass Vox mit „Ally McBeal“ um einiges pfleglicher verfuhr.

Schanze, Michael – Meldete sich als offizieller Hauptabendmoderator zurück, mit Schmelz, Charme und Schablone, lausbubenhaft wie eh und je, kurzum noch immer der ideale Schwiegersohn. Für Mütter jedenfalls, deren Töchter auch mit 50 noch nicht den Richtigen gefunden haben.

Talk, Talk, Talk – Pro7 servierte die Summe des täglichen Talk-Vergnügens als Wochenschau. Aber, Arabella, Bärbel & Birte, seid gewarnt – für den Fall, dass demnächst eine gewisse Ally McBeal in die nachmittägliche Wiederholung geht, solltet ihr schon mal das lockere Selbstgespräch proben.

Untote – Auch nicht mehr gültig ist die Volksweisheit „they never come back“. Alle waren plötzlich wieder da, die RTL-Stars der ersten Stunde: Karl Dall, Björn Hergen Schimpf, Hella von Sinnen ... Groß war da die Erleichterung beim Künstlerarbeitsamt, besonders in der Abteilung für Schwervermittelbare.

Volkes Wille – Der Nämliche setzte durch, dass „Ally McBeal“ wieder ins Programm berufen wurde. Manchmal liegt’s eben nur am falschen Sendeplatz zur falschen Sendezeit. Wenn Volkes Wille sich ein Herz nähme und demnächst noch die glorreiche Wiederkehr von „Homicide“ durchsetzen könnte ...

Wie war ich, Doris? – Der Sender RTL bewies Verantwortung und Fingerspitzengefühl, als er sein stark wirkendes Schlafmittel nur knapp dosiert und in großen zeitlichen Abständen verabreichte.

Zerlett, Helmut – Manche Tastenteufel spielen mit brennenden Fingern eine heiße Orgel. Helmut Zerlett, Orchesterleiter in der „Harald Schmidt Show“, versuchte es mal umgekehrt – urplötzlich stand seine Orgel in Flammen.