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Deutschlands Knäste sollen leerer werden

Angesichts überfüllter Haftanstalten will die Justizministerin den Freiheitsentzug nur noch als letzte Möglichkeit eingesetzt sehen. Ausländer sollen ihre Strafe häufiger im Heimatland verbüßen ■ Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Die Haftanstalten in Deutschland sind hoffnungslos überfüllt. Von 1990 bis 1999 stieg die Zahl der Inhaftierten von 48.500 auf 74.000. Deshalb sollen ausländische Häftlinge, die bundesweit etwa ein Viertel der Gefängnisinsassen stellen, künftig ihre Strafe häufiger in ihrem Heimatland verbüßen – so der gestrige Vorschlag von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Voraussetzung sei allerdings, dass es dort einen wirksamen und rechtsstaatlichen Strafvollzug gibt.

Der bayerische Justizminister Manfred Weiß (CSU) begrüßte den Vorschlag. Dagegen mahnte der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, die Abschiebung dürfe keine zusätzliche Strafe sein. „Es handelt sich bei dem Vorschlag keineswegs um eine Verschärfung der Ausländerpolitik durch die Hintertür“, stellte der Sprecher der Ministerin, Christian Arns, dagegen klar.

Bei ihrer Forderung stützt sich Däubler-Gmelin auf das Zusatzprotokoll der 1983 verabschiedeten „Konvention zur Überstellung verurteilter Personen“ des Europarates vom 18. Dezember 1997. Das Protokoll soll den 41 Mitgliedsstaaten des Europarates die Möglichkeit eröffnen, ausländische Straftäter auch gegen ihren Willen dem Strafvollzug in ihrem Heimatland zu überstellen. Bislang ist es von 14 Staaten unterzeichnet worden, allerdings nur von einem ratifiziert – von Makedonien.

Der Sprecher des bayerischen Justizministeriums, Gerhard Ziel, forderte die Bundesregierung deshalb auf, das Zusatzprotokoll zu ratifizieren und sich stärker dafür einzusetzen, dass dies auch andere Länder tun. Bereits im August forderte dies der hessische Justizminister Christean Wagner (CDU). Denn auch in Hessen platzen die Knäste aus allen Nähten. Die 5.800 Haftplätze sind mit über 6.300 Gefangenen belegt, knapp 40 Prozent sind Ausländer. „Unter diesen Bedingungen ist keine sinnvolle Betreuung der Häftlinge mehr möglich“, klagt der hessische Justizsprecher. Kein Wunder, denn der Personalschlüssel in den deutschen Haftanstalten wurde in den 90er-Jahren dem größeren Arbeitsanfall nicht angepasst.

Auch Däubler-Gmelin treibt bei der Idee, ausländische Straftäter in ihre Heimatländer zu überstellen, vor allem der Gedanke der Resozialisierung um. „Es macht wenig Sinn, Straftäter, die kein Deutsch sprechen und nach der Haftverbüßung ohnehin kein Aufenthaltsrecht haben, in einer deutschen Haftanstalt zu resozialisieren“, betonte ihr Sprecher Arns. Sie seien in einem heimatlichen Knast besser aufgehoben.

Allerdings wird auch eine Neuregelung an der Überbelegung der Haftanstalten nur wenig ändern. Denn in Mitgliedsländern des Europarates wie der Türkei, Albanien, Moldawien, Russland, Bulgarien, der Ukraine und der ehemaligen jugoslawischen Republik ist ein rechtsstaatlicher Strafvollzug nicht garantiert. Auch beträfe die Neuregelung nicht die ausländischen Straftäter mit einer Aufenthaltsberechtigung. Deshalb geht man in Hessen auch nur von einer Entlastung von 80 bis 150 Personen aus, sollte das Europaratsabkommen in Kraft treten. Bislang schiebt Hessen jährlich rund 40 Straftäter zur Haftverbüßung ab.

Weit mehr Entlastung für die deutschen Knäste würden andere Vorschläge bringen, die Däubler-Gmelin gestern ebenfalls vortrug. Die Ministerin sprach sich dafür aus, einen Teil der schon seit langem einsitzenden Straftäter vorzeitig aus der Haft zu entlassen, so weit sie keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Ganz von der Haft verschont werden sollten jene Täter, die zu Geldstrafen verurteilt wurden, diese aber nicht bezahlen können. Sie sollten häufiger zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden. Bereits im September sprach sich die Ministerin dafür aus, künftig häufiger auf den Täter-Opfer-Ausgleich als Alternative zur Inhaftierung zurückzugreifen.

Däubler-Gmelin folgt mit ihren Vorschlägen einer Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates. Dieses forderte im Oktober angesichts der chronisch überfüllten Haftanstalten in Europa, den Entzug der Freiheit nur als letzte Möglichkeit einzusetzen. Im einzelnen empfahl es eine Entkriminalisierung bestimmter Straftaten und die Verringerung langjähriger Haftstrafen. Ebenso sollte die Untersuchungshaft durch eine Freilassung gegen Kaution ersetzt werden.

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