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Martyrium im Inneren des Jets

■ An Bord des entführten indischen Airbus A 300 werden die Zustände immer unerträglicher.Bei den 160 Geiseln und ihren Entführern liegen nach 100 Stunden an Bord die Nerven blank

Kandahar (AFP/AP/dpa/taz) – Aus dem entführten indischen Airbus dringt der Gestank bis aufs Rollfeld. Im Innern muss die Luft unerträglich sein. Keine Klimaanlage sorgt für frischen Sauerstoff. Keine Heizung wärmt die Geiseln in der Maschine auf dem südafghanischen Flughafen Kandahar, wo die Außentemperaturen nachts unter den Gefrierpunkt sinken. Nachdem die Triebwerke ausfielen oder von den Entführern abgestellt wurden, verschlimmern sich die Zustände stündlich.

Vier Tage lang durften nicht einmal die Bordtoiletten geleert werden. Erst gestern ließen die fünf oder sechs Geiselnehmer die Klos abpumpen. Aber der Gestank ist nicht einmal das Schlimmste: Alle an Bord haben Angst vor dem Tod, der jede Minute kommen könnte. Mit jedem Tag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einige Geiseln die Nerven verlieren oder zusammenbrechen. Auch die nervliche Anspannung der Geiselnehmer kann zu unberechenbaren Reaktionen führen. Nach der Ermordung eines jungen Inders, der es gewagt hatte, sie anzusprechen, haben sie zwei Passagiere gefesselt und mit deren Erschießung gedroht, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Verärgert über die Patrouillen afghanischer Taliban-Milizen um das Flugzeug, verweigerten sie den Geiseln zunächst Mittag- und Abendessen. Erst gestern Morgen gab es dann ein karges Frühstück. Flughafenmitarbeiter, die Reis und Wasser an ein Fenster des Jets brachten, verschlug die aus dem Flugzeug strömende Luft den Atem. „Es riecht, als hätten sich einige übergeben“, so ein Flughafensprecher. Um die Situation etwas zu lindern und um wohl auch die eigenen Nerven zu schonen, erlaubten die Entführer gestern einigen Geiseln erstmals, sich für kurze Zeit auf der Rollbahn des Flughafens die Füße zu vertreten, frische Luft zu schnappen und die Kleider zu wechseln. Danach mussten die Entführten aber wieder das Flugzeug besteigen. Auch ein Entführer verließ für eine halbe Stunde den Jet, um Reparaturen zu überwachen.

Unter den Geiseln ist ein indischer Arzt, der sich um kranke Passagiere kümmert und vom Roten Kreuz mit Medikamenten versorgt wird. Die Passagiere haben Schmerzen vom langen Sitzen und leiden unter Kopfschmerzen, Übelkeit, Übermüdung und Stress. Im Flugzeug befinden sich auch zwei Krebskranke. Sie werden ebenso wenig freigelassen wie die noch an Bord befindlichen Kinder, deren Zahl nicht bekannt ist. Laut Indiens Außenminister Jaswant Singh hätten die Kidnapper entsprechende Forderungen abgelehnt. Unter den Geiseln sind auch 17 Europäer und Nordamerikaner.

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