Spuk vor der Neujahrsnacht

Das Kino kriegt nicht genug vom Jenseits: „The Sixth Sense“ mit Bruce Willis

Metaphysik im Kino, die wievielte? Auch wenn sich „The Sixth Sense“ esoterisch anhört, das Plakat nach New Age aussieht und die Gespenster eher postmodern, will sagen: staub- und zeitlos durch die Gegend schlurfen, erinnert das alles an einen anderen Fin-de-Siècle-Spuk: In Oscar Wildes „The Canterville Ghost“ trug der Wiedergänger allerdings noch zünftig rasselnde Ketten um die skelettierten Gelenke, nervte eine ins 20. Jahrhundert voranstürmende amerikanische Familie und litt an fürchterlichen Schuldgefühlen.

Englischer Moder und US-Pragmatismus, spätviktorianisches Gespensterblut und industrielle Fleckenentferner, die Knochenmänner des alten und die hysterischen Teenies des kommenden Jahrhunderts – in Wildes Erzählung waren das noch Dichotomien, an denen sich so etwas wie Zentenniumssentimentalität entfalten konnte.

Zumal sich die letzte Jahrhundertwende nach beiden Seiten wesentlich breiter machte als die jetzige. Irgendwann, so um 1880, wurde das verdutzte Subjekt in den Staubsauger der sterbenden Ära hineingezogen und etwa dreißig Jahre später ziemlich zerschreddert in eine unordentliche, aber irgendwie spannende Moderne hineingespuckt. Den symbolischen Rest, der dabei dabei auf der Strecke blieb, das Gerümpel überkommener Werte und nicht getilgter Schuld, übernahmen – wer sonst? – wieder einmal die Gespenster und ihre diversen Derivate in Literatur, bildender Kunst und Kino.

Angesichts eines dritten Jahrtausends der humanoiden Elementarteilchen, die allenfalls noch durch die Braunschen Molekularbewegung aneinander rücken, sind klassische Spukgestalten mit ihrer doch eher aggressiven Sozialität (immerhin erscheinen sie immer jemandem) nicht mehr so recht en vogue. In „The Sixth Sense“ hängen sie denn auch relativ unbeteiligt von der Decke oder laufen mal eben verhuscht durchs Bad. Ihre einstmals ehrenwerte Erinnerungsarbeit beschränkt sich darauf, eher ungeschickt und mit erheblichem Aufwand einen kleinen Jungen zu belästigen, der den ganzen Film über dementsprechend unglücklich aus der Wäsche schaut. Kinderpsychologe Bruce Willis allias Dr. Russel Crowe nimmt sich seiner mit besorgtem Doktorenblick an. Kleiner mit Geheimnis, Großer mit Durchblick, Abwehr, dann Vertrauen, moralischer Exorzismus und die Auflösung – irgendwie hat sich Regisseur Night Shyamalan zu sehr auf seine, zugegebenermaßen effektvolle, Schlusspointe konzentriert. Dabei wäre eine liebevolle Phänomenologie des Spuks in der Ultramoderne zu diesem Starttermin eine echte Herausforderung gewesen. Gegen Ende werden die Gespenster jedenfalls dramaturgisch ziemlich rabiat entsorgt.

Katja Nicodemus „The Sixth Sense“. Regie: Night Shyamalan. Mit Bruce Willis, Haley Joel Osment u. a. USA 1999, 106 Min.