: Das hermetische Summen der Zukunft
Antike Videobänder und Metallkleider von Courrèges: Das Millennium ist auch nur eine Ware. Dennoch sprachen sich die Kunden mehrheitlich für die Beibehaltung des Firmennamens „Blume 2000“ aus ■ Von Wolfgang Müller
Millenniumsnudeln gibt es noch im Supermarkt. Der Hartweizengrieß ist tatsächlich so geformt, dass er die Zahl 2000 bildet. Am 29. 12. 1999 habe ich sie in der Oranienstraße bei Plus gekauft, 500 Gramm für nur 99 Pfennig! Haltbar bis 31. 10. 2002.
Mit meinen Nudeln auf dem Schoß saß ich dann im Bierhimmel und traf Francoise Cactus von Stereo Total. „Oh, oui. Als ich klein war, stellte ich mir unter dem Jahr 2000 was ganz anderes vor. Ich dachte, alles wäre total modern und wir würden in kleinen Kapseln herumschweben und Metallkleider von Courrèges tragen. Alles wäre leise, in der Luft nur ein leises hermetisches Summen. Und in Wirklichkeit ist nix passiert, kein Science-Fiction – überall nur Revivals.“ Francoise warf einen kurzen Blick auf die Nudeln und sagte: „Ich bin enttäuscht!“
In den 60ern war 2000 noch Synonym für den absoluten Future-Trend. In den 70er-Jahren galt die Zahl 2000 immerhin noch als schick. 1974 wurde das Unternehmen „Blume 2000“ gegründet, das heute 170 Filialen in Deutschland unterhält. Klingt der Name mittlerweile nicht etwas altmodisch? Frau Winter von der Werbeabteilung „Blume 2000“ verneint entschieden: „Wir haben unsere Kunden danach befragt. Eine überwältigende Mehrheit sprach sich für die Beibehaltung des Namens aus.“ Wie viel Kunden das genau waren, will sie allerdings nicht verraten. Frau Winters persönliche Blume 2000 ist übrigens die Rose, während die Birke den offiziellen Titel Baum 2000 tragen darf. Auch die religiöse Sozialistin Dorothee Sölle kennt „Blume 2000“. Kritisch äußert sie über die Kinder, die keinen Kontakt mehr zur Natur hätten, aber alle Automarken kennen würden: „Blume ist das Ding, was man in ‚Blume 2000‘ kauft, es ist eine Ware wie jede andere auch, am Muttertag geht man dahin, fertig: Das ist Blume.“
Von Blume zu Video. 1979 wurde das System „Video 2000“ auf der Berliner Funkausstellung von Philips und Grundig vorgestellt. Die Halbzoll-Wendekassette bot eine Spieldauer von 480 Minuten und galt als besseres System als VHS, das sich jedoch durchsetzte. Wer heute ein Video 2000 sehen möchte, muss sich beispielsweise an die Firma KGC in Herten wenden. Unter der Überschrift „Hier leben die Mumien“ wird da die Überspielung „antiker Videobänder“ offeriert, zum fairen Preis. Überbleibsel dieser Zeit ist auch der Name der Videokette Video 2000, die noch heute von Schopfheim bis Ibbenbüren residiert. Etwas später, nämlich 1986, präsentierte Andreas Dorau seine LP „Demokratie“ mit dem Namen „Andreas Dorau 2000“. Was ihm an dem Zusatz 2000 gefiel? „Es ist ein Namensanhang, den ich gewählt habe, damit der Name etwas aufgepeppt wird. 2000 klang ein bisschen modern.“
In den 80ern habe es eine regelrechte Invasion von 2000, 3000 und 4000 gegeben, weiß Andreas: „Ab Mitte der 90er war damit Schluss!“ Zumindest klang 2000 ab etwa 1995 unglaublich oll. Als ich letztes Jahr die Parteiräume von Christoph Schlingensiefs „Chance 2000“ betrat, um über Elfen 2000 zu referieren, wähnte ich mich um zwanzig Jahre zurückversetzt, stimmungsmäßig. Überall saßen dröge junge Menschen geschäftig an Computern, ohne zu lachen, zu lächeln oder auch nur aufzublicken. Meinem alten Freund, dem Parteimitglied Oberstaatsanwalt a. D. Dietrich Kuhlbrodt, teilte ich umgehend meine Enttäuschung mit: „Die Stimmung in der Jungen Union ist mit Sicherheit aufregender und lustiger!“ Brigitte Kausch-Kuhlbrodt trat gar aus der Partei aus: „Hier ist keine Poesie mehr!“ Nur wenige Wochen später löste der Parteigründer das künstlerisch-politische Bündnis auf. Christoph Schlingensief hat in seinem Manifest schließlich behauptet, dass die Marktwirtschaft nur durch Menschlichkeit weiter funktionieren könne.
Und wie geht es weiter? Es gibt den Buchhandel „2001“, den Modedesigner „3000“ alias Frank Schütte, der wegen Finanzproblemen nach Amerika geflohen ist, und den „Maler 4000“ aus Hamburg, der seine Bilder schon ab DM 5,- verkauft. Alles geht also? „Nicht alles“, bewies mir Dietrich Kuhlbrodt: „Nach dem Flop mit dem 200-Mark-Schein hat man es mit dem 2.000-Mark-Schein gar nicht erst versucht!“
Der Autor kreierte seinerzeit die „3000“ des am 1. Mai 1987 eröffneten Berliner Lokals „Kumpelnest 3000“
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