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Norwegische Züge mobil ohne Handy: 33 Tote bei Frontalzusammenstoß

Gravierende Sicherheitsmängel auf einem Streckenabschnitt führten zum schwersten Zugunglück in Norwegens Geschichte

Vergeblich versuchte die Zugleitung, die Führer deraufeinander zurasenden Loksper Mobiltelefon zu erreichen

Oslo (taz) – Offenbar wegen einer fehlenden Handynummer konnte der Zusammenstoß zweier Personenzüge in Norwegen am Dienstagnachmittag nicht verhindert werden. Die bislang schwerste Zugkatastrophe in Norwegen, bei der vermutlich mindestens 33 Menschen ums Leben gekommen sind, enthüllte geradezu unglaubliche Mängel im Sicherheitssystem der norwegischen Staatsbahnen NSB: Auf der fraglichen Strecke ist – wie auf mindestens drei weiteren NSB-Streckenabschnitten – ein Zug, der ein Haltesignal überfährt, nicht mehr von außen zu stoppen. Einzige Möglichkeit, einen Unfall noch zu vermeiden, ist dann der Versuch, das Mobiltelefon des Lokführers zu erreichen.

Auf der eingleisigen Strecke zwischen Oslo und Trondheim hatte am Dienstagnachmittag der aus dem Süden kommende Zug eigentlich auf dem unbemannten Bahnhof von Rustad anhalten und den verspäteten Gegenzug passieren lassen sollen. Er tat dies aber nicht. Die Zugleitung für die fragliche Strecke in der 50 Kilometer entfernten Stadt Hamar konnte an Hand eines Magnetsystems verfolgen, wo sich beide Züge befanden, und damit auch feststellen, dass ein Fehler passiert war. Doch die Strecke ist nicht elektrifiziert, sodass nicht einfach der Strom abgeschaltet werden konnte – und so musste man von dort hilflos zusehen, wie die Züge nach Passieren des Haltesignals noch rund 9 Kilometer aufeinander zurasten.

Das verzweifelte Anwählen einer Reihe von Mobiltelefonnummern führte nicht zur Verbindung mit den Lokomotiven: Da die Handys der Lokführer ständig untereinander wechseln und es offenbar keinerlei Vorschriften gibt, deren Nummern bei Abfahrt der Züge zu registrieren, versagte auch diese letzte Möglichkeit. Die Züge prallten frontal aufeinander.

Während es in kaum einem europäischen Land mittlerweile noch Bahnstrecken gibt, die nicht über automatische Zugstoppsysteme verfügen, mit denen ein Zug zwangsgebremst werden kann, so glaubte man in Norwegen offenbar, diese Ausgabe einsparen zu können. Die meisten Strecken verfügen nur über ein vereinfachtes Automatiksystem, das lediglich im Zusammenhang mit Signalanlagen funktioniert und beispielsweise nicht beim Überschreiten von Geschwindigkeitsbeschränkungen. Für die fragliche Strecke war selbst diese Investition erst frühestens für das kommende Jahr vorgesehen. Bis dahin glaubte man auch auf Zugfunk verzichten zu können und verließ sich allein auf das – störungsanfällige – allgemeine Mobiltelefonnetz.

Nach dem Untergang der Katamaranfähre „Sleipner“ im November des vergangenen Jahres vor der norwegischen Westküste stellt sich in Norwegen nach der Zugkatastrophe erneut die Frage, warum das reiche Ölland ausgerechnet bei der Sicherheit von Verkehrswegen weit hinter dem europäischen Standard hinterherhinkt.

Reinhard Wolff

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