: „Wir wollen keine Kontrolle seitens Dritter“
Auch dem Braunschweiger Autonomen Frauenhaus wurde der Geldhahn zugedreht – es war zu autonom ■ Von Heide Oestreich
Berlin (taz) – „Frauenhaus Braunschweig“: Sie melden sich noch am Telefon, im Hintergrund immer noch Kindergeschrei – das Autonome Frauenhaus ist noch da. Verwunderlich, denn nach dem Willen der Stadt sollte das Autonome Frauenhaus Branschweig das Jahr 2000 nicht mehr erleben. Keine öffentlichen Gelder mehr, der Mietvertrag gekündigt. Eine Einrichtung, die 21 Jahre lang mit der Stadt zusammen gearbeitet hat, ein autonomes Frauenhaus, wie es hunderte in Deutschland gibt. Doch noch haben die Frauen finanzielle Rücklagen, sie machen einfach weiter – autonom. Der Stadt Braunschweig waren sie eigentlich schon immer zu autonom.
Die Mitarbeiterinnen kooperierten nicht, lautet seit Jahren die Klage, sie seien für das Sozialamt kaum telefonisch erreichbar. Man brauche Daten wie die Belegungszahlen für die Abrechnung, doch das Frauenhaus, das über 28 Plätze verfügt, melde Ein- und Auszüge nicht weiter, hieß es. Einmal sei gar die gesamte Belegschaft auf eine mehrtägige Fortbildung verschwunden, von Betreuung könne da ja wohl keine Rede mehr sein.
Vor zwei Jahren wollte das Sozialamt dann kurzerhand neue Maßstäbe setzen. Es legte dem Frauenhaus eine „Vereinbarung über qualitätssichernde Maßnahmen“ vor. Frauenhaus und Sozialamt sollten enger zusammen arbeiten, hieß es darin. Über jede Bewohnerin des Hauses seien schriftliche Vermerke anzufertigen. Gemeinsam mit den Sozialbehörden solle ein „Hilfeplan“ für sie entwickelt werden. Bleibe eine Klientin länger als die vorgesehene Zeit im Haus, so müsse dies dem Sozialamt schriftlich begründet werden. Klingt nach ordentlicher Verwaltung, um Geld gezielt einsetzen zu können – immerhin zahlte das Sozialamt jährlich etwa 400.000 Mark des Gesamthaushaltes von 478.000 Mark.
Aus Sicht der fünf Mitarbeiterinnen des Frauenhauses sind sowohl der Plan als auch die Begründung eine einzige Provokation. Die Frauen sehen sich als Opfer einer „Verleumdungskampagne“. Die Belegungspläne seien immer korrekt übermittelt worden, das könne der Buchprüfer belegen. Im Übrigen kooperiere man so viel wie nötig und sei eben nicht immer erreichbar – so viel Freiheit behielten sie sich vor. Die Stadt, so vermuten sie, wolle nur ein unbequemes Projekt an die Leine legen.
Nach dem Konzept autonomer Frauenhäuser hat der Staat keineswegs ein Recht darauf, Frauen, die ins Frauenhaus fliehen, zu kontrollieren. Denn dieser Staat geht in ihren Augen gegen Gewalt von Männern an Frauen nicht konsequent vor. Der Schläger darf sein Leben unbehelligt weiter leben, die Geschlagene dagegen muss fliehen, denn Gewalt von Männern wird von der Polizei oft als „Familienkrach“ abgetan. Der Staat als Komplize der Täter soll keinen Zugriff auf die Frauen haben – so sehen es die Frauenhäuslerinnen.
Im Autonomen Frauenhaus dagegen soll alle Fremdbestimmung ein Ende haben. Deshalb verwalten die Bewohnerinnen das Frauenhaus Braunschweig mit, anstatt lediglich von „Expertinnen“ betreut zu werden. Deshalb meinen die Mitarbeiterinnen, man könne die Frauen durchaus einige Tage mit einer Notruftelefonnummer allein lassen. Deshalb will man keinesfalls einen „Hilfeplan“ erstellen, als könne die Frau nicht selber entscheiden. „Die sind doch nicht krank!“, spitzt die Frauenhaus-Sprecherin, die ungenannt bleiben will, ihre Distanz zur Sozialarbeit der Ämter zu.
Selbsthilfe, das ist immer noch der Leitsatz der autonomen Frauenhäuser, die etwa die Hälfte der rund 400 Frauenhäuser in Deutschland ausmachen. „Bestimmte Prinzipien haben in den Siebzigerjahren gestimmt und stimmen immer noch“, erklärt die Sprecherin. Das Sozialamt müsse nicht wissen, aus welchen Gründen jemand ins Frauenhaus ein- oder auszieht. Auf den Punkt gebracht: „Wir wollen keine Kontrolle seitens Dritter.“
Durch ihre strikte Parteinahme für die Fraueninteressen kollidieren die Frauenhäuser schon seit ihrer Gründung mit der traditionellen Familienpolitik. Deren Ziel heißt: Rettet die Familie. Flugs stellten deshalb, kaum hatten autonome Frauenhäuser sich in den Siebzigerjahren gegründet, Kirchen und Wohlfahrtsverbände den Querulantinnen eigene Einrichtungen entgegen, die brav mit Ämtern und Familienpolitik kooperieren. „Gegenhäuser“ tauften die Autonomen sie.
Die Kampflinie war gezogen. Sich wieder vertragen mit einem Schläger, das heißt für die autonomen Frauenhäuser: sich wieder eingliedern in die patriarchale Ordnung. „Dahinter steht die Auffassung: Auch ein Misshandler kann ein guter Vater sein“, sagt die Braunschweiger Frauenhaussprecherin. „Das ist nicht unsere Erfahrung.“
Dass der ideologische Kampf um die richtige Betreuung geflohener Frauen gerade in der letzten Zeit wieder aufflammt, hat auch mit Sparhaushalten zu tun. Die Sozialämter machen Inventur, wer da keine detaillierten Daten beitragen mag, stört. Über Belegungspläne und Leistungsverträge, in denen minutiös festgehalten ist, welche Wohltaten wem zu Gute kommen, sind zwar auch die Häuser der Wohlfahrtsverbände nicht glücklich. Aber die autonomen Frauenhäuser sind in ihrer Identität getroffen.
Je nachdem, wie kooperativ sich die lokalen Behörden zeigen, können die autonomen Frauenhäuser einen mehr oder weniger großen Spielraum für sich heraushandeln. Das Frauenhaus Kassel hat nach langen Verhandlungen gerade noch seine staatlichen Gelder retten können, das Göttinger aber wird gerade abgewickelt, das Koblenzer ist bereits geschlossen.
In Braunschweig wollte das Frauenhaus der Supervision durch die Ämter noch mit Verhandlungen über eine bessere Kooperation entgehen. Aber dem Sozialamt passt die ganze autonome Richtung nicht: Der Leiter Norbert Winkler sieht schon beim Thema Sorgerecht rot: „Man kann doch nicht generell jemanden vom Sorgerecht ausschließen, nur weil da einmal eine Eruption stattgefunden hat“, findet er. „Der Mann kann doch besoffen gewesen sein.“ Und überhaupt, kommen nun die Argumente, die die Frauenhausbewegung seit zwanzig Jahren bekämpft: „Es gehören ja immer zwei dazu, wenn es einen Gewaltausbruch gibt.“ Natürlich sei danach das „Gemeinsame erst mal verschüttet“. Kein Grund für Norbert Winkler, es nicht wieder auszugraben. Für die Autonomen Frauen aber schon.
„Beide Seiten waren nur noch misstrauisch“, beschreibt die Braunschweiger Frauenbeauftragte Maybritt Hugo die verfahrene Situation. Das Amt empfand die Querköpfigkeit der Frauenhäuslerinnen als Subversion im Verwaltungsgetriebe, das Frauenhaus witterte Repression in allen Vorgaben. Es folgten zwei Jahre Kleinkrieg. Bei einem „Routinebesuch“ des Sozialausschusses im Frauenhaus fanden die Abgeordneten das Haus leer. „Man hatte den Eindruck, es sei unbewohnt“, berichtete die Vorsitzende des Ausschusses. Mitnichten, erklärten die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen. Die Bewohnerinnen hätten es nur vorgezogen, nicht wie im Zoo beäugt zu werden und deshalb kurzfristig aushäusig zu sein. Sowas habe er ja noch nie erlebt, empörte sich der Sozialamtsleiter Winkler.
Die Stadt stornierte kurzerhand und rechtswidrig Überweisungen an das widerspenstige Haus. Erst die Drohung eines Anwaltes ließ die Gelder vorübergehend wieder fließen. Das Frauenhaus schlug Alarm. Andere autonome Frauenhäuser solidarisierten sich, die autonomen Frauenprojekte in Braunschweig allerdings blieben distanziert. Man wisse zu wenig über die Arbeitsweise des Frauenhauses, erklärten sie. Die Frauenhäuslerinnen gelten in der Stadt als verbohrt.
„Da kennen natürlich viele die Geschichte der autonomen Frauenhäuser nicht und finden das Haus nun unkooperativ“, erklärt die Frauenbeauftragte Hugo. Doch auch sie urteilt kritisch über die Position des Frauenhauses: „Das Frauenhaus kann seinen Prinzipien ja vielleicht auch trotz einiger Formalia fürs Amt treu bleiben. Da ist auch nicht immer geschickt verhandelt worden.“
Bis März werden sich andere Träger für den Betrieb des Frauenhauses bewerben. Verschiedene Wohlfahrtsverbände und die katholische Kirche zeigen Interesse. Bis zur endgültigen Auswahl hat die Stadt eine Übergangsadresse für Hilfe suchende Frauen eingerichtet. Überflüssigerweise – denn das Autonome Frauenhaus ist noch da: Der Mietvertrag gilt offiziell bis 2003. Die Kündigung sei also rechtswidrig, meint das Haus. Die Mitarbeiterinnen machen ohne Bezahlung weiter und leben vom Arbeitslosengeld. Wovon die Miete bezahlt werden soll, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind, das wissen sie auch noch nicht so genau. Könnte sein, dass sie mit ihrem Schiff untergehen, die Kapitäninnen der Autonomie.
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