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Ausgedünnte Erinnerung, aus dem Halbbewusstsein aufsteigend

Das Bild vom Bild: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt den Zyklus „The Purge“ von Luc Tuymans – eine Quintessenz des Schaffens des erfolgreichsten belgischen Malers der 90er

Luc Tuymans medienbeeinflusste Meta-Bilder machen bewusst, dass man Bildern nicht trauen kann. Auch nicht seinen eigenen.

Seit Beginn der Neunzigerjahre ist der 41-jährige Luc Tuymans Belgiens erfolgreichster Exportartikel in Sachen Malerei. Und er hält diese Stellung mit einigem Geschick: Da aus Belgien – kleines Land, ohne Identität, Pufferstaat – schon seit Jahrzehnten keine bedeutende Malerei mehr gekommen sei, wolle er „das Loch mal dichten“, so sein Kommentar auf der Pressekonferenz im Kunstmuseum Wolfsburg. Nebenbei stellte er sich auch in die Tradition und auf die Höhe eines Gerhard Richter. Die Malerei als die Königin der Künste sei konservativ, aber nicht überholt. Doch da es heutzutage keine authentische Kunst mehr gebe, müsse man sie fälschen. Tuymans nimmt für sich in Anspruch, Bilder aus zweiter Hand zu machen. Also Bilder nach Bildern nach Bildern ...

Rund 50 dieser Meta-Bilder sind in Wolfsburg zu sehen. Sie stammen alle aus den 90ern und bilden, nach Meinung der Kuratorin Annelie Lütgens, eine Art Quintessenz dieser Periode. Es sind Ölgemälde auf Leinwand in unterschiedlichen Dimensionen, tendieren aber eher zum Kleinformatigen. Mittig gehängt, einzeln oder in Gruppen, ziehen sie sich wie ein Fries um die Wände der Ausstellungsräume. Es sind figurative Bilder, ohne dass sich ihr Gegenstand immer schon auf den ersten Blick erschließt. Dazu erscheint alles zu undeutlich, verwischt, blass, aus größter Nähe oder in kaum entschlüsselbaren Ausschnitten. Ein Zusammenhang der Arbeiten lässt sich nur erahnen, aber die Nähe zum Monochromen, Angedeuteten und Flüchtigen ist allen gemeinsam.

Tuymans Bilder sind Medienbilder, angeregt durch Zeitung, Illustrierte, Buch, Film und Fernsehen. Anfang der 80er hatte der Künstler auch selbst mit der Kamera gearbeitet: Die aus dieser Zeit in Wolfsburg ausgestellten Filmstills – unscharfe, silhouettenartige Szenen – ähneln den gemalten Bildern. Mehrere der ausgestellten Werke gehören Serien an, etwa „Der diagnostische Blick“ nach Abbildungen aus einem medizinischen Lehrbuch zur Bestimmung von Krankheiten anhand von Körpersymptomen. Andere, wie „The Heritage“ und „Security“, beziehen sich auf Traditionslosigkeit und Sicherheitswahn in den USA oder, wie „The Flag“ und „A Flemish Intellectual“, auf Rechtsradikalismus in Belgien. Neben Anspielungen auf Geschichte („Der Architekt“, „Himmler“) stehen Alltagsgegenstände wie Lampen, Kissen, Kinderzimmer, textile Muster, Valentinskuchen oder Schweißtropfen und Blutkörperchen. Alles erscheint verfremdet, von Realitätsmerkmalen gleichsam gereinigt – die Ausstellung steht unter dem Titel „The Purge“ –, unwirklich und albtraumhaft.

Dem Medienstrom entrissen, werden Tuymans Bilder zu einem Medium der Erinnerung, einer ausgedünnten Erinnerung, wie aus dem Unbewussten oder Halbbewussten aufsteigend. Tuymans malt, „wie wir die Dinge Tag für Tag visuell verzehren, sie verdauen und wieder ausscheiden“, schreibt Frank Vande Veire in der zur Ausstellung erscheinenden Zeitung. So werden Bilder aus Pornoheften oder Reklamebroschüren, Nachrichtenmagazinen oder Filmen unterschiedslos ästhetisch eingeebnet, durch regelmäßige eistonige Pinselstriche gleichsam still- und nebeneinander gestellt. Tuymans operiert dabei aus der Distanz des Beobachters, seziert, lässt weg, bläst auf, überblendet. Er geht mit dem investigativen Spürsinn eines Detektivs oder Forschers vor, scheinbar unberührt.

Trotzdem lauert in seinen Bildern etwas, das sich nicht auflösen lässt. Sie schwanken zwischen Anklage und Trost, zwischen Gewalttätigkeit und Zärtlichkeit. Sie machen bewusst, dass Schönheit und Idylle aufs Engste mit Grauen und Entsetzen verbunden sind, dass das eine oft die Bedingung des anderen ist, und dass man Bildern nicht trauen darf. Auch nicht denen von Tuymans.

Michael Nungesser

Bis 30. 1., Kunstmuseum Wolfsburg. Die Ausstellungszeitung kostet 1 Mark.

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