: Der den Karra aus em Dreck zoga hot
Am 28. Dezember 1999 wäre der Anführer des Mössinger Generalstreiks von 1933, Jakob Stotz, 100 Jahre alt geworden. Hitler konnte der brave Mann freilich nicht verhindern, 1974 ehrte seine schwäbische Heimatstadt den Glasermeister und „roten Rebellen“ dennoch für sein couragiertes Leben und seine aufrechte Haltung. Ein Porträt von Marianne Mösle
Ein kleiner Bub sei er gewesen, lange vor 33 war’s, kann sich der 75-jährige Fritz Stotz heute noch erinnern. Da hat er seinen Vater gefragt: „Papa, was isch des, a Demonstration? Warum gehsch du da mit?“ „Des isch deswege“, hat der Vater geantwortet, „dass die arme Leit net immer ärmer werdet und die reiche net immer reicher“. Jakob Stotz, der Glasermeister aus Mössingen am Rande der Schwäbischen Alb, sei ein Mensch gewesen, wie es keinen besseren gegeben hat, sagt sein Sohn heute. Kein Heiliger, aber einer, der an das Gute und Edle im Menschen glaubte und sich sein Leben lang für eine soziale Gerechtigkeit einsetzte. Nur aus diesem humanitären Ansatz heraus ist sein Engagement als KPD-Mitglied in den Zwanzigerjahren und sein nachhaltiges Eingreifen in die Kommunalpolitik nach dem „Dritten Reich“ zu verstehen.
Ein Kommunist war der Vater, ein linker Rebell, ein „Roter“, so wie viele andere auch, damals, in der knapp 5.000 Einwohner zählenden Steinlachgemeinde. Aus einer alteingesessenen Handwerker- und Bauernfamilie, „a bissle bsondere Leit“ seien die Stotzens immer gewesen. Als Metzgermeister und Gemeinderat der Demokratischen Partei kam sein Vater viel bei den Leuten rum, die Mutter erzog ihre zehn Kinder im streng pietistischen Glauben. – Jakob war der Älteste.
Der Krieg habe seinen Vater geprägt, meint Fritz Stotz. Mit schweren Verletzungen ist der 1918 knapp 19-jährig in die Heimat zurückgekehrt. „Seit dem war er gegen den Militarismus.“ 1920 wurde in Mössingen die KPD gegründet, Jakob Stotz gehörte zu den Ersten. Das heißt nicht, dass der junge Mann sich nur um Politik gekümmert hätte.
Er muss auch ein strebsamer und unerschrockener Handwerker gewesen sein, denn schon 1925 hat er sich als Glasermeister selbstständig gemacht und seinen eigenen kleinen Betrieb auf der Hilb aufgebaut. Weil er bei der KPD „vornedran stand“, trafen sich in der Stotzschen Werkstatt die Arbeitslosen und die selbstständigen Handwerker, die Gewerkschaftler und die Kulturschaffenden der KPD. „Des war a richtige kleine Zell“, meint der Sohn, „a Heimat für die arme Leit.“ – Aber ob Parteigänger oder Bürger, die Mössinger lebten relativ harmonisch beieinander. Die enge dörfliche Struktur, die verwandtschaftlichen Beziehungen und familiären Bindungen verhinderten große Auseinandersetzungen.
In den Zwanzigerjahren schlossen sich die Jugendlichen den Arbeitervereinen scharenweise an. Man traf sich bei der Weihnachtsfeier im Gesangverein und turnte in der selbst erbauten Turnhalle beim Sportverein. Man kaufte Waren und Lebensmittel im Konsumverein zum Selbstkostenpreis, las die Ortszeitung Sichel und Hammer und probte den Aufstand in der Textilfabrik Pausa, als dort ein Teil der Weber fristlos entlassen wurde. Der Stotz selbst war kein Radikaler, hört man. Sein Leben lang handelte er aus unbeugsamen Gerechtigkeitswillen, „ich war progressiv und scho früh hab’ ich mei Haar um mindestens oin Zentimeter länger traga als andere“, soll er später von sich gesagt haben. Auch damals, am Abend des 30. Januar 1933, als er als Kopf der ortsansässigen Antifa (antifaschistische Aktion) seine Genossen zum Streik gegen Hitlers Ernennung zum Reichskanzler mobilisiert hat. Die kommunistische Parteizentrale in Stuttgart hatte einen überregionalen Protest angekündigt, die Mössinger folgten aufs Wort.
Unser Aufstand“ nennen die Alteingesessenen noch heute den ominösen Generalstreik, bei dem rund 1.000 Handwerker, Arbeitslose und streikende Arbeiter mit Rotfront-Rufen „gegen die faschistische Diktatur zur Rettung des bankrotten Kapitalismus“ demonstrierten. „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“, war auf den Bannern zu lesen. Nachdem der Protestmarsch gegen Mittag des 31. Januar nur zögernd in Bewegung kam, schlossen sich im Lauf des Nachmittags immer mehr Menschen an. Als aber die Reutlinger Schutzpolizei anrückte und eine Straße abriegelte, löste sich die Demonstration ziemlich zügig und widerstandslos auf. Und wahrscheinlich wäre die revolutionäre Aktion der Albgemeinde längst vergessen, hätte nicht Anfang der Achtzigerjahre eine Projektgruppe der empirischen Kulturwissenschaftler in Tübingen ein Buch mit dem Titel „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“ herausgebracht. Denn wenn sich die Kommunisten im ganzen Deutschen Reich daran beteiligt hätten, so wurde später behauptet, wären sie genügend gewesen, um Hitler zu stürzen. Nur sei da nirgends nichts gewesen außer in Mössingen.
Sein Vater ist anderntags extra mit dem Fahrrad nach Reutlingen geradelt, um sich von der Niederlage zu überzeugen, erinnert sich Fritz Stotz noch. Wie Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen muss er sich gefühlt haben, freiwillig und ziemlich entmutigt hat er sich dann umgehend bei der Polizei gemeldet. Davon kam er einigermaßen glimpflich: Wegen Landfriedensbruchs wurde Jakob Stotz zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Drei kleine Kinder wollten versorgt sein, die Frau ging putzen. Im Dorf sei die Solidarität groß gewesen, die Putzlappen hat der von den Nazis eingesetzte Bürgermeister höchstpersönlich bezahlt.
Schon wenige Monate nach dem Mössinger Aufstand wurden die kommunistischen Gemeinderäte offiziell und nach dem „vorläufigen Gesetz der Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ entlassen. Dann verbot die NSDAP die Arbeitervereine, die Schlüssel der Turnhalle wurden beschlagnahmt. Das war zwar noch nicht das Ende der Kommunisten in Mössingen, doch außer geheimen Treffen, ein paar Flugblättern und Geld- und Kleidersammlungen der „Roten Hilfe“ waren die Linken von der Bildfläche verschwunden.
Als Jakob Stotz Ende 1934 frühzeitig aus der Haft entlassen wurde, verhielt er sich ruhig, notgedrungen. Es war zu riskant, „er war doch dauernd unter Kontrolle und musste sich um seine Familie kümmern.“ Gegen seinen Willen wurde er 1940 als Soldat bei den Landesschützen im Oberland eingezogen. Dort erklärte man den Rebellen für „wehrunwürdig“, im „Bewährungsbataillon“ sollte er sich dann melden. Stotz weigerte sich, dem „Himmelfahrtskommando“, das kaum jemand überlebt hat, beizutreten. Man ließ ihn ziehen.
„Dann war dr Stotz der Mann, der 45 den Karra aus em Dreck zoga hot“, heißt es. Dafür wurde er 1974 mit der ersten Bürgermedaille geehrt und 1985 bekam der ehemalige Karlsplatz ein Schild, auf dem „Jakob-Stotz-Platz“ steht. Mit offenen Armen erwartete der Glasermeister die Franzosen im April 45. Dass die Besatzer das „rote Mössingen“ nicht anders behandelten als das übrige faschistische Deutschland, dass ihre marokkanischen Vortrupps vandalisch hausten, war für ihn und seine Parteigenossen ein große Enttäuschung.
Doch nachdem Bürgermeister Rühle vorläufig von seinem Amt zurücktreten hatte müssen, meldete sich Stotz auf dem Rathaus, ergriff die Initiative zur „Einmischung“. Er übernahm kommissarisch die Geschäfte des Bürgermeisters und verhandelte. Kartoffeln, Getreide, Mehl und Milch mussten verteilt werden ebenso wie Bettzeug und Kleidung.
„Dann hat man dafür gesorgt, dass wenigstens diejenigen, die an dem Elend mit schuld gewesen sind , dass die ihren Tribut haben leisten müssen“, hat der Aufrechte einmal bei einem Interview gesagt. Was nicht heißt, dass der gutmütige Mann nicht den einen oder anderen ehemaligen Nazi vor der Militärregierung in Schutz genommen hätte. Von April bis Juni 45 amtiert Stotz als Bürgermeister, ab Juli gehört er dem „Beratenden Ausschuss“, einer Art inoffiziellem Gemeinderat an, im August wird er zum Stellvertreter des Schultes ernannt. Warum er denn nicht Bürgermeister geworden ist? – „Das stand nie zur Debatte“, sagt sein Sohn. „Er war Handwerker und kein Verwaltungsmann.“
Bis 1955 blieb er dann als KPD-Mitglied im Gemeinderat. 1948 allerdings nahm er die Wahl nicht an. Der Partei wehte der eisige Wind des Kalten Krieges entgegen, und der Jakob hatte weit weniger Stimmen erhalten, als er nach all dem, was er getan hatte, erwartet hätte. 1955 hat Jakob Stotz sich aus der Kommunalpolitik zurückgezogen. „Aus Altersweisheit“, meint der Sohn „und aus Entäuschung, weil er hot einseh müsse, dass der Mensch net nur edel und gut isch und dass ma net alles unter alle gleich vertoile ka.“
„Über Jakob Stotz könne man eigentlich nicht viel erzählen“, gibt der Mössinger Volkskundler im Rathaus, Dr. Hermann Berner, heute Auskunft. Keine Anekdoten, keine großen Worte, keine Skandale. „Weil er einfach nur gut war und sonst nicht besonders auffiel.“ Gegen einigen Widerstand hat die Stadt ihren Kommunisten 1974 mit der ersten Bürgermedaille und einer Urkunde geehrt: „Die Stadt würdigt mit dieser Widmung die aufrechte Haltung eines Bürgers, der im Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft seinen Standpunkt mutig und aus Überzeugung vertrat und nach dem Zusammenbruch 1945 als einer der ersten am demokratischen Wiederaufbau seiner Heimatgemeinde stets hilfsbereit und dabei erfolgreich mitgewirkt hat.“ Ein Jahr später ist Jakob Stotz gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen