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Rechtsbeistand für Notfälle

■ Der Anwaltliche Notdienst gibt am Wochenende juristischen Beistand: Seit zehn Jahren bedienen Bremer Anwälte die Notnummer für Hilfe in wirklichen Notsituationen

Das Handy bimmelte nachts um drei Uhr. Es sei „etwas Schreckliches“ passiert, sprach der Anrufer ins Handy. Er brauche sofort Hilfe: Sein Vater sei 1956 gestorben. Und nun grüble er schlaflos darüber, ob seine Schwester ihn bei der Erbschaftsregelung „nicht doch völlig übervorteilt“ hätte.

Ein klassicher Anruf am anwaltlichen Nottelefon, der vor allem eines zeigt: „Warum wir für den Notdienst nicht so gerne Werbung machen“, erklärt Notdienst-Organisator und Rechtsanwalt Dr. Holger Hoffmann. Denn immer dann meldeten sich Menschen, die „in unserem Sinne keine echten Probleme haben.“

„Echte Probleme“ nämlich sind für den Notdienst „richtige Notfälle“ – wenn Menschen zum Beispiel plötzlich verhaftet werden. Dann wählen sie das Not-Handy an – und erhalten juristischen Beistand in einer Zeit, in der Rechtsanwaltspraxen traditionell geschlossen haben. Die ehrenamtliche und unentgeltliche „Serviceleistung“ stellt der Anwaltsverein jetzt seit knapp zehn Jahren mit der Strafverteidigerinitiative auf die Beine – „weil wir als Anwälte auch ein Stück soziale Verantwortung tragen.“

Knapp 40 Kollegen bedienen momentan reihum das Not-Telefon, das im Februar 1990 an den Start ging. Anlass dafür waren knallharte Zahlen: Zwischen 18 Uhr abends und sechs Uhr morgens finden pro Jahr allein 150 Verhaftungen statt – und somit genau dann, wenn Verteidiger Feierabend haben. Doch auch dann haben BürgerInnen ein Recht auf fachkundige Beratung, befand der Anwaltsverein – und startete den Notdienst wegen der hohen Verhaftungs-Zahlen.

Der Bundesgerichtshof gab der Initiative in diesem Punkt Recht: Polizei und Haftrichter haben die Betroffenen darauf hinzuweisen, dass sie bei jedem Verhör oder jeder Verhaftung einen Anwalt hinzuziehen können. Das erklärte der Bundesgerichtshof zur Pflicht. In einem Hamburger Fall hatten PolizistInnen einem Ausländer bei der Festnahme schlicht ein Branchenbuch in die Hand gedrückt, in dem über Seiten RechtsanwältInnen aufgelistet sind.

Das, so befand der Bundesgerichtshof, war „keine Hilfe, sondern eher geeignet, den der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten von der Unmöglichkeit einer alsbaldigen Kontaktaufnahme zu überzeugen.“ Der Mann nämlich hatte sich allein mit der Polizei und ohne Anwalt um Kopf und Kragen geredet.

Trotzdem wurde der Notdienst in Bremen eher selten bei Verhaftungen gerufen. Nur bis zu 15 Mal pro Jahr fragten Anrufer im Schnitt in den vergangenen Jahren nach – im Verhältnis zu den konstatierten 150 Verhaftungen pro Jahr „deutlich wenig“, sagt Rechtsanwalt Dr. Holger Hoffmann. „Warum das so ist, ist aber schwer zu erklären.“ Man könne das Verhalten der Polizei schließlich nicht „kontrollieren“. Es gebe aber wohl polizeiliche Vorbehalte, dass ein Anwalt die Ermittlungen erstmal eher „behindere“. Gleichwohl hätte man die Polizei aber auch regelmäßiger über das Notdienst-Angebot „informieren können.“

Und so sind die Anwälte bislang vor allem bei „zivilrechtlichen Fragen“ im Einsatz gewesen – wenn Vermieter wegen Mietrückständen einfach das Schloss austauschen, wenn die Mutter ihr Kind trotz väterlichem Umgangsrecht nicht hergeben will. Bei solch „hoch emotional aufgeladenen Situationen“ bemühe man sich dann um einen „Gesprächskontakt mit juristischer Akzentuierung“. Oftmals helfe die „nüchterne Darstellung der rechtlichen Situation, die Lage zu entspannen“ – manchmal auch nicht: „Dann müsste eigentlich ein Psychologe her.“ kat/span

Der Anwaltliche Notdienst ist über 0172/426 44 76 zu erreichen, freitags von 18 bis Montagmorgen um acht Uhr.

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