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Ein mitreißendes Geschepper

■ Das „Kocani Orkestar“ verwandelte frostige BremerInnen in Wackelpudding

Gibt es eine Musik, die erst dann so richtig gut ist, wenn sie scheppert? Am Freitagabend plärrte, quäckte und rumste es mächtig und voller Absicht von der Bühne des Schlachthofs herunter, denn die Musik einer mazedonischen Blechkapelle wie „Kocani Orikestar“ ist nicht zum konzertanten Lauschen gedacht, sondern zum Tanzen, Saufen und Dummheitenmachen. Zumindest getanzt wurde – nach hanseatisch verschämten Startschwierigkeiten – reichlich bei diesem wilden Gebläse, das auch nicht auf eine Bühne vor sitzende ZuhörerInnen, sondern auf Hochzeiten, Geburtstage und andere Feierlichkeiten gehört. Kein Wunder also, dass die neun Musikanten erst nach dem eigentlichen Konzert endgültig außer Rand und Band gerieten. Zur Zugabe kamen sie nämlich von der Bühne herunter zwischen die Tanzenden (da Radio Bremen den Auftritt mitschnitt, durften sie sich vorher nicht zu weit von ihren Mikrophonen entfernen) und spielten dort schwitzend im Gewimmel fast noch einen kompletten dritten Set, bei dem man dann jeweils das Instrument besonders laut hörte, das einem direkt in die Ohren blies.

Auf einer Bass- und drei Baritontuben, zwei Trompeten, einem Altsaxophon und einer großen Trommel wurde da auf den Rhythmen von möglichst ausgelassenen Tänzen geritten – man kennt diese brachiale, sehr vitale Musik aus dem Kino des Emir Kusturica, der in seinem letzten Film solch eine Kapelle kurzerhand wie Früchte von einem Baum hängen ließ. Die musikalischen Einflüsse reichen von indischen Filmmusiken bis zu maurischen Anklängen, aber in der Essenz wird hier Volksmusik gespielt. Die vielen Jugoslawen im Publikum sangen viele der Lieder mit, und am Einsetzen des Beifalls konnte man erkennen, dass sie ihre Lieblingsstücke schon beim ersten Takt erkannten.

Die wehmütigen Balladen, die sie auf ihren CDs blasen, wurden hier nur als Intros für dann später nur umso ausgelassenere Tänze gespielt. Da schluchzte dann schon mal ein Horn, schluchzte sogar länger, als es musikalisch zwingend war, denn je strammer der Spannungsbogen gezogen wird, desto größer ist dann die Erlösung im Rhythmus. Diesen dramaturgischen Trick beherrscht die Kapelle perfekt, und auch sonst war das Konzert so raffiniert aufgebaut, dass sich zwar viele Stücke (für den nicht initiierten Zuhörer) ähnlich anhörten, man aber nie das Gefühl hatte, die Musiker würden sich wiederholen. Dafür waren die Rhythmen viel zu verführerisch: Man ließ sich fallen in diese musikalischen Wirbelwinde, die im Lauf des Konzerts solch einen Sog bekamen, dass es wohl kaum jemanden im Schlachthof gab, der nicht mindes-tens mit einem Körperteil mitgewippt hat. Die Musiker vom „Kocani Orkestar“ ahnen wahrscheinlich gar nicht, welch ein Triumph das bei dem (nicht gerade als zappelig bekannten) Bremer Publikum ist. Wilfried Hippen

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