: Mit 60 Jahren, da fängt das Leben an
■ Hamburgs IG Metall-Bevollmächtigter ist „hochskeptisch“ gegenüber dem „Durchbruch“ beim Bündnis für Arbeit
Bei Bernhard Janßen ist die Telefonverbindung zusammengebrochen. So viele Mitarbeiter haben beim 1. Bevollmächtigten der Hamburger IG Metall gestern Vormittag angerufen, dass die Technik schon mal kapituliert hat. Alle wollten wissen, wie es denn jetzt weitergeht mit der Rente ab 60, mit der Lohnpolitik – einen Tag nach dem vom Kanzler verkündeten angeblichen Durchbruch beim Bündnis für Arbeit. Die Metaller mögen in den Jubel nicht so recht einstimmen.
„Ich selbst bin hochskeptisch“, macht Janßen aus seiner Zurückhaltung keinen Hehl. Die Befürchtung der IG Metall: Die ArbeitnehmerInnen verzichten über Jahre auf Lohnerhöhungen, aber die Gegenleistung der Unternehmen bleibt aus. „Wenn die Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum keinen Ausgleich dafür bekommen, dass um sie herum die Lebenshaltungskosten steigen, dann wird das nichts“, wird Janßen deutlich. Auf Dauer sei Lohnzurückhaltung nicht zu verkaufen, wenn nicht sichtbar neue Arbeitsplätze entstünden.
Außerdem kann sich der IG Metall-Funktionär überhaupt noch nicht vorstellen, wie die am Sonntag verkündete Lohnpolitik, die sich an der Produktivität orientiert, aussehen soll. Die Rente ab 60 sei jedenfalls längst nicht vom Tisch, auch wenn die Unternehmensverbände dies jetzt schon triumphierend verkünden.
Mit seiner Skepsis steht der Gewerkschafter nicht allein da. Für CDU-Fraktionschef Ole von Beust ist die Einigung vom Sonntag „nur ein Formelkompromiss“. Die SPD jubelt dagegen. Bürgermeister Ortwin Runde nennt das Kanzlertreffen vom Sonntag „einen Schritt zu mehr Beschäftigung“, der auch Hamburg „einen Schub in der Arbeitsmarktpolitik“ geben werde. Und der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Uwe Grund, findet es gut, dass man Arbeitszeitmodelle je nach Branche unterschiedlich entwickeln solle. Grund ist auch Landeschef der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft DAG. Die hatte sich gegen das IG Metall-Modell einer pauschalen Rente mit 60 ausgesprochen.
Es geht bei der Rente mit 60 um Arbeitsplätze, es geht aber auch darum, wie Menschen ihren Ruhestand verbringen. Die älteren Menschen früher aus dem Arbeitsprozess zu holen, um Platz für junge zu schaffen – für Ursula Barth-Deus, Geschäftsführerin des Hamburger Seniorenbildungswerkes, wäre das „gut und wichtig“. Sie glaubt, dass ältere Menschen heute „mehrheitlich wissen, wie sie ihre Zeit nach dem Arbeitsleben sinnvoll nutzen können“. Das Phänomen „Pensionsschock“ habe sich in den vergangenen 15 Jahren nach ihrer Beobachtung deutlich verringert. Außerdem wünsche sie sich ohnehin eine Veränderung des Gesellschaftsbildes, bei dem „nur der Mensch wert ist, der Arbeit hat“. Peter Ahrens
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