: Alles auf Anfang
■ Die große Koalition macht in der Kulturpolitik die gleichen Fehler wie am Beginn der Amtszeit von Bringfriede Kahrs, meint die Grüne Helga Trüpel
Bei den Haushaltsberatungen wird die Bürgerschaft in wenigen Wochen auch über den Kulturetat entscheiden. Da klafft zurzeit ein Millionen-Loch. Mehrfach haben Kultursenator Bernt Schulte und Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (beide CDU) deshalb angekündigt, dass Schließungen unvermeidlich sein werden. Doch wie viel Schließungen bekommt man für's Geld? Und wie könnte ein Umbau aussehen, den Schulte aus einem Extra-Fonds finanzieren will, den ihm Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) in Aussicht gestellt hat? Wir fragten eine, die dazu bestimmt was zu sagen hat: Denn Helga Trüpel (Bündnisgrüne) ist erstens in der Opposition, und zweitens war sie von 1991 bis 1995 selbst Kultursenatorin.
taz: Kultursenator Schulte will mit Geld aus einem Strukturumbaufonds die Kulturszene umbauen. Was halten Sie davon?
Helga Trüpel: Man braucht einen solchen Fonds – und zwar längerfristig. Kurzfristig braucht man einen höheren Kulturetat. Der jetzige Etat führt zu Schließungen. Diese Schließungen sind von Schulte und Motschmann immer wieder angedroht worden, ohne sie konkret zu benennen. Nach den letzten konkreten Zahlen von Schulte fehlen im Kulturetat über neun Millionen Mark. Wenn man dieses Geld durch Schließungen einsparen will, wird das die Stadt nachhaltig verändern. Mit den Zuschüssen für das Waldau-Theater, die Bremer Shakespeare Company, die großen Kulturzentren wie das Lagerhaus, alle Kulturläden und die freie Musikszene kommt man kaum auf diese Summe. Aber wenn all diese Einrichtungen fehlen, wäre Bremen eine gerupfte Kulturlandschaft. Das müsste Schulte benennen. Der Vorschlag der organisatorischen Zusammenlegung der Kunstsammlungen Böttcherstraße mit der Kunsthalle und alle anderen Ideen, die jetzt diskutiert werden, sind doch Petitessen. Deshalb fordern wir jetzt einen höheren Etat für die Kultur und längerfristig Umstrukturierungen.
Wieso Umstrukturierungen? Wenn der Etat erhöht wird, sind doch erstmal alle zufrieden?
Wir müssen perspektivisch über die Entwicklung der Kultur nachdenken. Denn man wird nicht davon ausgehen können, dass immer weiter drauf gesattelt wird. Wenn man so weitermacht wie jetzt, steigt der Finanzbedarf der Kultur immer weiter. Und das wird auf gar keinen Fall zu machen sein. Deshalb kommt es darauf an, die Ziele zu definieren und über neue Organisationsformen nachzudenken. Doch die große Koalition hat jetzt die Fehler vom Anfang von Kahrs Amtszeit wiederholt (Bringfriede Kahrs, SPD, Kultursenatorin von 1995-1999, Vorgängerin von Schulte; Anm. d. Red.). Entgegen der Absprachen hat sie Theaterintendant Klaus Pierwoß mit Kürzungen gedroht. So bringt man ihn in die Situation, dass er nur lauthals protestieren kann. Das sind einfach schwere Kommunikationsfehler. Wenn man Pierwoß den Vertrag zugesichert hätte, hätte man ihn für eine Diskussion darüber gewinnen können, was in den nächsten Jahren – ich rede da von einem Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren – am Theater und anderswo passieren muss. Man hätte Pierwoß für eine neue Theaterreformdiskussion auf Bundesebene gewinnen können. Oder man hätte mit ihm nach Wegen suchen können, die lobenswerte Kooperation mit anderen Theatern noch weiter auszubauen. Oder zum Beispiel die Stadtbibliothek. Zurzeit werden die Biobliotheken einfach weiter heruntergespart. Doch kaum ein Projekt ist so durchgeplant wie die neue Zentralbibliothek. Da hätte man längst Pflöcke einhauen können.
Bei der Forderung nach einer Erhöhung des Kulturetats kommen auch bei den Grünen die Fachleute für die anderen Ressorts und wollen die Hand aufhalten. Wie rechtfertigen Sie Ihre Forderung?
Auf diese Debatte unter den konsumtiven Ressorts wollen wir uns gar nicht einlassen. Denn man muss da die Generalfrage stellen: In Bremen gibt es das Grundproblem, dass die große Koalition zu viel Geld in Investitionen steckt und dabei einen verengten Investitonsbegriff hat. Diese Investitionen, von denen noch gar nicht klar ist, ob sie die erhofften Mehreinnahmen bringen, werden über Schulden finanziert, und die Zinsen gehen zu Las-ten der konsumtiven Bereiche wie Kultur, Bildung oder Soziales.
Es ist deshalb falsch, sich um die Verteilung unter diesen so genannten weichen Ressorts zu streiten. Man muss an die Grundlagen he-rangehen und die Größenverhältnisse zwischen den Investitionen, den Ausgaben für konsumtive Bereiche und Schuldentilgung ändern. Viele Entscheidungen sind schon gefallen. Aber es ist jetzt noch möglich, 300 Millionen Mark jährlich zu tilgen und durch die gesparten Zinsen wieder Spielraum zu gewinnen. Und wenn man will, dass Bremen auch in Zukunft eine lebendige Stadt bleibt, braucht man dafür unbedingt auch die Kultur.
Der Rat der oppositionellen Grünen an die Kulturszene?
Jens Eckhoff (CDU-Fraktionschef; Anm. d. Red.) versucht Keile in die Kulturszene zu treiben. Doch sie sollte sich auf keinen Fall auseinander dividieren lassen. Das gemeinsame Auftreten hat sich bewährt. Fragen: Christoph Köster
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