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Als Jesus nicht nach Hause wollte

Der Streit, ob Religion ein ordentliches Wahlpflichtfach werden soll, geht weiter. Doch wie sieht der derzeitige Unterricht eigentlich aus? Ein Praxisbricht aus Schulen in Schöneberg, Charlottenburg und Mitte ■ Von Julia Naumann

Als Jesus zwölf Jahre alt war, machte er mit seinen Eltern einen Ausflug nach Jerusalem. Doch von dort ging er nicht zurück nach Nazareth, sondern blieb noch einige Zeit in der Heiligen Stadt, um zu sich selbst zu finden. „Die Eltern haben sich deshalb große Sorgen gemacht“, sagt Doris Beyer und schaut mit einem wachsamen Blick in die Klasse, in der acht Schülerinnen sitzen. Nur Mädchen haben sich für ihren Unterricht angemeldet. „Wie kann Jesus diesen Konflikt mit seinen Eltern lösen?“, fragt die Lehrerin. „Ist es gut, was er gemacht hat?“

Die Schülerinnen, die sich aus vier 8. Klassen der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Schöneberg rekrutieren, blättern etwas ratlos in ihren Bibeln. Sie kichern und tuscheln. Dann platzt es aus einer heraus: „Sie können es ja ausdiskutieren. Das machen wir ja mit unseren Eltern auch so.“

Und flugs geht es nicht mehr um Bibelzitate, sondern um die knallharte Wirklichkeit. „Mit meiner Mutter kann ich gar nicht mehr reden“, klagt eine Schülerin. „Die will alles immer ganz genau wissen.“ Eine andere hat mit ihren Eltern ein „Superverhältnis.“ Einige Minuten später greift Beyer wieder ein: „Sind Konflikte überhaupt sinnvoll?“ Die Diskussion wird immer lebhafter. Ja, natürlich sind Konflikte sinnvoll, ist die einhellige Meinung. Auch wenn es manchmal weh tut und schwierig ist.

Es klingelt zur Pause, die Mädchen klappen schnell die Bibeln zu und stürmen hinaus. Die katholische Religionslehrerin Doris Beyer lehnt sich zufrieden zurück. Diese Stunde ist für sie ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken von „Bibelkunde und Realität“. „Wenn wir in der Bibel lesen, dann versuche ich das möglichst schülernah zu gestalten“, sagt Beyer.

Sonst hätte sie an der Gesamtschule gar keine Chance. Von den 1.150 SchülerInnen besuchen bis zur 10. Klasse nur ungefähr 150 Jugendliche den katholischen oder evangelischen Unterricht, in der Oberstufe nur noch ein Dutzend den evangelischen. Katholischer Unterricht wird mangels Nachfrage gar nicht mehr angeboten. Die Konkurrenz ist groß: Der Freizeitbereich der Schule lockt mit Billardtisch und Cafeteria, außerdem wird das Modellfach „Ethik/Philosophie“ angeboten.

Von Beyers Achtklässlerinnen sind nur einige getauft. Andere kommen aus katholisch geprägten Ländern wie Polen, Kroatien oder Italien. „Ein Großteil macht mit, weil die Eltern das wollen, andere kommen freiwillig“, sagt die 43-Jährige, die seit 1992 katholischen Religionsunterricht lehrt.

An der Sophie-Scholl-Schule, die inmitten des ethnisch bunten Kiezes zwischen Winterfeldtplatz und Kleistpark liegt und auf die 200 Kinder nicht deutscher Herkunftssprache gehen, muss Beyer zu Beginn des Schuljahres regelmäßig für ihren Religionsunterricht werben. „Wenn Eltern und SchülerInnen dort erfahren, dass ich nicht dem Klischee der strengen Nonne entspreche, sondern modernen Unterricht anbiete“, sagt Beyer leicht belustigt, „dann ist die Resonanz viel größer.“ Hat sie erst mal ihre Schäfchen durch die 7. Klasse gelotst, bleibt ein Großteil von ihnen bis zur Oberstufe am Ball, hat Beyer erfahren. Einige springen ab, wenn sie mit 14 Jahren religionsmündig werden, also eigenständig entscheiden können, ob sie den Unterricht besuchen wollen oder nicht.

Dass Beyer wegen der mangelnden Nachfrage an ingesamt vier Schulen unterrichten muss und sich deswegen in keiner richtig heimisch fühlt, stört sie manchmal sehr. Deswegen ist sie auch dafür, dass Religion zum Wahlpflichtfach wird. „Das wäre für uns Lehrer eine große Aufwertung. Der Unterricht würde viel ernster genommen, wenn es eine Benotung gebe.“

Andere Religionen werden natürlich integriert

Diese Probleme hat Jutta Loch nicht. Die 42-Jährige unterrichtet evangelischen Religionsunterricht am Wald-Gymnasium, das im gutbürgerlichen Eichkamp in Charlottenburg liegt. Auch sie hat eine 8. Klasse. Doch hier nehmen außer zwei Jugendlichen alle SchülerInnen teil. Klassen müssen nicht zusammengewürfelt werden. Erst in der Oberstufe bröckelt das Interesse. In der 11. Klasse nehmen von 70 SchülerInnen nur noch knapp 30 teil.

Die Lehrerin charakterisiert ihren Unterricht als Mischung zwischen „Wissensvermittlung und Gruppendynamik“. In ihrer 8. Klasse geht es momentan um das Thema Zeitrechnung. Loch fragt nicht nur nach christlichen Feiertagen im Kalender, sondern auch nach denen der Buddhisten und Muslime. „Die anderen Religionen werde in meinem Unterricht ganz selbstverständlich integriert“, sagt Loch. „Diese große Dialogbereitschaft wird von der Kirchenleitung auch gewünscht.“

Die Lehrerin kommt auf das Thema Ramadan, in der Klasse gibt es kein einziges Kind nicht deutscher Herkunft. „Das ist doch nicht gesund, den ganzen Tag nichts zu essen und sich am Abend dann vollzufressen“, sagt eine Schülerin und schüttelt sich. Mit klaren Worten erklärt Lehrerin Loch, dass in viele Religionen gefastet werde, auch bei den Christen.

Am Ende der Stunde müssen die Kinder einen Aufgabenzettel ausfüllen, Noten gibt es nicht. Dennoch machen alle einigermaßen mit, die Konzentration ist nicht höher oder niedriger als in einer Mathe- oder Deutschstunde.

Je älter die SchülerInnen werden, umso mehr stehen für Jutta Loch gruppendynamische Prozesse im Vordergrund. „Wenn etwas Wichtiges ansteht, dann wird erst einmal darüber geredet“, sagt die 42-jährige Lehrerin. Thema kann die ständige Hänselei eines Schülers sein, aber auch eine Diskussion über den Kinofilm „Matrix“. Die SchülerInnen, die kurz vor dem Abitur stehen, unterrichtet Loch sogar zu Hause. Sie kommen freitags alle zwei Wochen und bleiben den ganzen Abend. „Die Kinder suchen einerseits Geborgenheit, anderseits einen ernsthaften Austausch mit Erwachsenen.“ Sie fungiere als eine Art Vertrauenslehrerin. Mit versetzungsrelevanten Noten könne solch eine Art des Unterrichts nicht aufrechterhalten werden.

In Lebenskunde geht es um die moralische Seite

Auch Eva Ellerkmann, Lehrerin an der Grundschule am Arkonaplatz in Mitte, ist davon überzeugt, dass ihr Unterricht nur so funktioniert: „Ich schätze sehr, dass die Kinder freiwillig kommen, denn dann sind sie motivierter.“ Ellerkmann unterrichtet Lebenskunde. Die Teilnahme am Unterricht sei sehr unterschiedlich. In der 4. Klasse zum Beispiel nehmen die Hälfte der Kinder teil, die meisten anderen gehen in dieser Zeit in den benachbarten Hort. Nur sehr wenige haben Religionsunterricht.

In Lebenskunde dreht es sich gerade um das Thema „Freundschaft“. „Die Kinder lernen hier mit allen Sinnen“, sagt Ellerkmann. Es wird gemalt, gesprochen, gespielt. Freundschaft sei zwar auch ein Thema in Sachkunde, aber in Lebenskunde werde die moralische Seite betont. Das Unterrichtsfach geht davon aus, dass es keinen vorgegeben Sinn des Lebens gibt, aber Menschen ihrem Leben einen Sinn zu geben vermögen. Der Unterricht stellt die Würde jedes einzelnen Menschen und den Wunsch, gut zu leben, in den Mittelpunkt. Er soll bei den Kindern „Kraft für Toleranz und Solidarität“ ausprägen und helfen, „Dogmatismus und religösen Fanatismus zu widerstehen“, sagt Werner Schultz vom Humanistischen Verband, dessen Organisation den Unterricht anbietet.

Heute müssen die Kinderin der Grundschule am Arkonaplatz pantomimische Szenen zum Thema Freundschaft nachstellen. „Freundschaft ist das Tollste, was es gibt“, sagt ein Junge. Dann umarmt er seinen Freund und strahlt.

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