: Strom und Wärme inklusive
In Berlin soll ein Standardvertrag das „Energie-Contracting“ übersichtlicher gestalten. Eine Fülle von Anbietern tummelt sich neuerdings auf dem Energiemarkt – darunter viele Kleinanbieter ■ Von Jochen Siemer
Wer in diesen Wintermonaten durch den Berliner Bezirk Prenzlauer Berg spaziert, kann die Veränderungen geradezu riechen: Natürlich emittieren noch immer zigtausende Kohleöfen vor sich hin – aber es steht doch bedeutend besser um die Luftqualität als noch vor einigen Jahren. Nicht umsonst ist das Altbauviertel „Europas größtes zusammenhängendes Sanierungsgebiet“. Seit dem Fall der Mauer sind hier nicht nur Fassaden und Holzdecken erneuert, sondern auch massenhaft moderne Heizungsanlagen eingebaut worden.
Weil sich die Berliner Stadterneuerung den behutsamen Umgang nicht nur mit Bausubstanz und Bewohnern, sondern auch mit der Umwelt auf die Fahnen geschrieben hat, lassen die verantwortlichen Politiker auch von berufenen Experten darüber nachdenken, welche ökologischen Potenziale eine derartige Umstrukturierung der Wärmeversorgung in sich birgt.
Berufen war in diesem Falle die Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung – S.T.E.R.N., die mit der Koordinierung der Sanierung betraut ist. Schließlich, so S.T.E.R.N.-Mitarbeiter Martin Vöcks, „wissen wir über jedes Bauvorhaben im Stadtteil Bescheid“. Gemeinsam mit der Energie- und Umwelt-Managementberatung Pöschk erhielt man von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz deshalb den Auftrag zur Entwicklung eines „Berliner Energiedienstleistungsstandards“, abgekürzt B.E.ST.
Wie der Name schon sagt, soll diese Richtlinie nicht nur im Prenzlauer Berg, sondern in der gesamten Stadt angewandt werden und als „praxisnahes Umsetzungsmodell für Energiedienstleistungen im Gebäudebestand den Gesamtprozess von Ausschreibung, Angebotsbewerbung bis hin zu den vertraglichen Regelungen zwischen Gebäudeeigentümern, Mietern und Energiedienstleistern“ in geordnete Bahnen lenken. Das Schlüsselwort dabei ist Energiedienstleister, denn auch in der Hauptstadt sind natürlich die Zeiten längst vorbei, in denen man Strom beim Elektrizitätswerk und Heizenergie bei der Gasanstalt bezog.
Eine Fülle von Anbietern tummelt sich auf dem Markt, und weil ihr Produkt nicht leicht zu definieren und außerdem relativ neu ist, wird es mit einem englischsprachigen Begriff umschrieben: „Contracting“ heißt es, wenn ein Kunde – in der Regel der Besitzer eines Gebäudes – mit einem Anbieter einen Vertrag über die Bereitstellung von Wärme oder Elektrizität oder eine Kombination aus beidem abschließt. Dergleichen gibt es auf dem Wärmesektor schon lange, wenn etwa große Industriebetriebe die angrenzenden Wohngebiete mit der Abwärme ihrer Produktionsstätten beliefern. Seit einigen Jahren sind aber auch massenhaft Klein- und Kleinstbetriebe in dieses Geschäft eingestiegen.
Eine wichtige und aus ökologischer Sicht sehr begrüßenswerte Variante ist es dabei, wenn diese Anbieter Strom- und Wärmelieferung nicht nur vermitteln, sondern ihr Produkt tatsächlich selbst herstellen – und zwar in Blockheizkraftwerken (BHKW), die eine kleine Zahl von Abnehmern – unter Umständen nur ein oder zwei Mietshäuser – versorgen. Schließlich gilt die Kraft-Wärme-Koppelung (KWK), ob nun im kleinen Maßstab oder, wie bei den großen Wärmekraftwerken der Stromkonzerne, in größeren Einheiten, als ein Schlüssel zur Verminderung des Primärenergieverbrauchs und der Kohlendioxidemissionen.
Ob ein Angebot allerdings ökologisch und ökonomisch Sinn macht, lässt sich für Laien kaum ausmachen. Wer einen Lieferanten sucht, weiß Martin Vöcks, „bekommt sofort fünf Angebote, die aber überhaupt nicht miteinander vergleichbar sind“. Mal liegt zum Beispiel die Instandhaltung der Anlagen in der Verantwortung des Anbieters, mal soll der Kunde dafür gerade stehen, mal gibt es umfassende Absicherungen gegen Strom- und Heizungsausfälle, mal ist das Haftungsrisiko fahrlässig unklar geregelt. Erst recht kompliziert wird die Angelegenheit natürlich, wenn neben dem Anbieter und dem Eigentümer noch eine dritte Partei, nämlich der Wohnungsmieter, auf den Plan tritt.
All dies, beschreibt Martin Vöcks die Entstehungsgeschichte von B.E.ST., „war für uns das Motiv, einmal festzulegen, was Energie-Contracting nach unserem Verständnis bedeutet“. Der Standard umfasst eine Ausschreibungshilfe für Fachingenieure und Hausverwaltungen, Auswertungssoftware zur Ermittlung von Eigenregiekosten und zum Vergleich von Bieterangeboten und vor allem standardisierte Verträge für die Wärme- und Stromlieferung.
Ein zentrales Problem für die Anwendung in der Altbausanierung war dabei die Erreichung von „Warmmietenneutralität“: Ein speziell entwickeltes Vertragsmodell soll gewährleisten, dass die Mieter bei der Wärmeversorgung durch den Contractor besser gestellt werden, als bei der üblichen Variante. Schließlich müssen sie der Umstellung auf die so genannte „gewerbliche Energiedienstleistung“ zustimmen.
Die Verwendung von Kraft-Wärme-Koppelung ist für die B.E.S.T.-Macher erklärtes Ziel, das sich auch in den Vertragstexten wiederfindet. Ein bedeutender Schritt, zumal die Anwendung des Standards bei der gewerblichen Wärmelieferung in öffentlich geförderten Altbausanierungen vorausgesetzt wird. Allerdings hat man sich bewusst auf Soll-Bestimmungen beschränkt. Etwas anderes wäre rechtlich kaum möglich – und wirtschaftlich wohl nur in Einzelfällen durchsetzbar. Ob nämlich angesichts immer neuer Billigangebote auf dem Strommarkt eine ausreichende Anzahl von Mietern ihre Elektrizität künftig aus wohnungsnahen BHKW anstatt aus französischen Atomkraftwerken beziehen will, ist selbst für Optimisten fraglich.
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