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Ausweisung in die Fremde mit Rückkehrticket

■ Türke, der als Jugendlicher einen Ladendetektiv erstoch und Haftstrafe absaß, wird in sein Heimatland ausgewiesen, darf aber zurückkommen. In der Türkei muss er zum Militär

Der Fall machte Schlagzeilen: 1994 erstoch der damals 15-jähriger Aytac D. einen Ladendetektiv in der Dreispitz-Passage in der Friedrichstraße. Der Schüler, der in der Türkei geboren wurde, aber bereits als Säugling nach Berlin kam, wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, von der er zwei Drittel verbüßte. Der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Doch die Innenverwaltung setzte noch eins drauf: Die Ausländerbehörde verfügte, Aytac D. in die Türkei auszuweisen, weil er eine besonders schwere Straftat begangen habe. Das ist nach dem Ausländergesetz möglich. Aytac D., der bis zu seinem 16. Lebensjahr keine eigenständige Aufenthaltserlaubnis brauchte, weil seine Mutter in Berlin lebt, wird momentan nur noch geduldet. Er klagte gegen die Ausweisung. Gestern wurde der Fall vor dem Vewaltungsgericht in Tiergarten verhandelt.

Das Gericht stellte fest, dass es sich bei seinem Vergehen tatsächlich um eine besonders schwere Tat gehandelt hatte und deswegen eine Ausweisung möglich sei. Aytac D. hatte dem 50-jährigen Hausdetektiv mit einer zehn Zentimeter langen Klinge die Hüftschlagader durchtrennt, nachdem er in einer Drogerie versucht hatte, einen von ihm unter falschem Namen abgegebenen Film aus dem Selbstbedienungsregal zu stehlen. Auf dem Film waren von ihm gesprühte Grafitti abgebildet, D. war in der Sprayer-Szene aktiv. Als er den Laden verlassen wollte, wurde er von dem Hausdetektiv angesprochen – es gab eine Rangelei, in der Aytac D. das Messer zückte.

Im Gefängnis charakterisierte der Psychologe D. als eine Person mit „depressiver Persönlichkeitsstruktur“, die ihre Tat jedoch aufrichtig bereue. D. neige zur Selbstüberschätzung und benötige ein „gutes Sozialnetz“, um sich wieder zu integrieren. Momentan lebt D., der seinen Realschulabschluss gemacht hat, von Sozialhilfe. Er wohnt mit seiner ebenfalls arbeitslosen Mutter und seinen beiden Brüdern in Neukölln.

Wegen der Härte des Falles hätte eine Ausweisung letzlich nicht vermieden werden können. Deshalb nahm D. gestern die Klage auf Anraten des Richters und seines Anwalts zurück. Im Gegenzug dazu befristete die Ausländerbehörde die Länge der Ausweisung auf 20 Monate. D. nahm diesen Antrag an. „Wir wollen Nägel mit Köpfen machen. Hätten wir in der nächsten Instanz geklagt, hätte das noch Jahre gedauert“, sagte sein Anwalt Hans-Georg Odenthal gestern zur Begründung.

Anfang Juni muss der 20-Jährige in die Türkei ausreisen. Dort wird er voraussichtlich zum achtzehnmonatigen Militärdienst eingezogen. Verwandte hat er dort keine, er spricht besser Deutsch als Türkisch. Nach 20 Monaten darf D. wieder nach Deutschland einreisen, jedoch nur, wenn er einen gesicherten Lebensunterhalt, also eine Arbeitsstelle nachweisen kann. Einen Rechtsanspruch hat er darauf jedoch nicht.

Diese Art der „Einigung“ ist bei Ausweisungen keine Seltenheit, sagte gestern Anwalt Odenthal. Das bestätigte auch die beisitzende Richterin Lydia Glowatzki. Es sei der „Regelfall“, dass Ausweisungen befristet würden. Glowatzki geht davon aus, dass D. zurück kommt: „Der ist doch hier tief verwurzelt.“ Julia Naumann

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