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Poetisch auf den Punkt

NeclÛ Akgün inszeniert Feridun Zaimoglus „Koppstoff“ in der Post an Stephansplatz  ■ Von Liv Heidbüchel

In einer plexigläsernen Litfasssäule stehen vier Frauen und bli-cken ins Publikum. Posierend wie Spanner in einer Mischung aus konzentrierter Neugier und der Angst, entdeckt zu werden, suchen ihre Augen den Raum ab. Nur der auf eine plüschige Froschhandtasche aufgenähte Gesichtsausdruck vermittelt starre Teilnahmslosigkeit. Die eigentlichen Zuschauer erwidern interessiert-zurückhaltend die Blicke der Frauen und finden sich auf die konditionierte Illusion zurückgeworfen, durch die transparente Trennwand zwischen „uns“ und „denen“ schon alles gesehen und verstanden zu haben.

Eine Attitüde ganz im Stile der MigrantInnenforschung, für deren gutgemeinte Außenperspektive der seit Kanak Sprak zum Kultautor avancierte Feridun Zaimoglu (sprich: Saimolu) wenig übrig hat. Verarbeitete er in seinem Debüt 1995 noch von Männern abgegebene „Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“, ist er in seiner 1998 erschienenen Reportagensammlung Koppstoff ausschließlich Sprachrohr für Deutsch-Türkinnen. Diesen 26 Protokollen hat nun die Hamburger Regisseurin NeclÛ Akgün, Absolventin des Studiengangs Schauspieltheater-Regie 1997, fünf entnommen und in der Eilzustellung der Post am Stephansplatz in Szene gesetzt. Sind in Zaimoglus Vorlage die monologisch gehaltenen Statements noch einer bestimmten Absenderin zuzuordnen, splittet Akgün diese in ein polylogisches Miteinander auf.

Die vier Schauspielerinnen verlassen alsbald ihre käseglockengleiche Abgeschirmtheit und nehmen auf weißen Steinen in der Größe portabler Fernsehgeräte Platz – für Akgün Sinnbild flüchtiger Positionen in Analogie zu Zaimoglus Positionsprotokollen. Dieses Minimum an Requisiten konzentriert das Spiel auf die fünf Texte, die Akgün pointiert gekürzt und effektvoll vermischt hat und von den Akteurinnen schlagend und authentisch umgesetzt werden. Wenn etwa die Gemüseverkäuferin (Tone Eriksen), von Schaulust und Wissensdurst ihrer deutschen Kunden ermüdet, den Verdacht äußert, dass die original türkische Art Tee zu trinken und Fernsehen für diese Menschen scheinbar den gleichen Reiz bergen, echot es unisono: „Jetzt überleg dir mal, dein Fernseher redet mit dir.“

Unbeirrbar und auf Gleichheit getrimmt, fallen die Schauspielerinnen immer wieder in den Monolog ein. Sie übernehmen die Zitate und rhetorischen Fragen innerhalb der Protokolle und dekonstruieren mit dem Starrsinn eines Computerprogramms gelernte Konzepte. Wenngleich diese Salzlösung unangenehm brennt, ist sie doch weit entfernt von jeglichem Appell an betroffenheitsideologische Befindlichkeiten: poetisches Auf-den-Punkt-Kommen, völlig frei von Schmalz; dafür umso mehr wohlartikulierte Tabuwortketten wie „Fi-cki-facki-diggy-Ding“, denen die Lacher sicher sind.

Viel zynischer allerdings gerät der Seitenhieb auf all jene, die Assimilation als identitätsstiftend begreifen: So lässt Akgün die papageienparodierenden Schaufensterpuppen passagenweise sämtliche Flexionsformen von „türkisch“ durch ein monotones „Piep“ ersetzen. Ungleich genießerischer dagegen zergeht ihnen auf der Zunge alles, was mit „deutsch“ zu tun hat.

Von der anspruchsvollen Edelboutique-Verkäuferin (Maria Debora Wolf), die selber Lippenstift am Zahn hat, über die taffe Anarchistin mit Vollpeilung (Mirjam Dirks) und die popelnde Kunstgeschichtsstudentin (Frauke Angel), die weiß, dass für den Deutschen Liebe lediglich eine Wärmebeschaffungsmaßnahme ist, bis zum tanzenden Alter ego aller (Maren Elisabeth Lisner): Sie verkörpern Charaktere frei vom Anspruch auf Perfektion, die Akgüns raum- und kopffüllende Inszenierung mit einem erheblichen Stück bundesdeutscher Realität besetzen. Klar dürfte auch sein, wer dabei im Glashaus sitzt.

noch heute und morgen, 20.30 Uhr, Post am Stephansplatz, Dammtorwall 12

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