piwik no script img

Wo bleibt der autonome Patient?

■ In Bremen beginnt ein Symposium über „patientenorientierte Medizin“ / Ein taz-Gespräch über Ärzte und geschulte Patienten

Der aufgeklärte und autonome Patient ist in der Schulmedizin noch keine Selbstverständlichkeit. Zwar sind gezielte Patientenschulungen für chronisch kranke Menschen wie Diabetiker oder Asthmatiker bereits Standard. Doch auf anderen Gebieten – z.B. für Schmerz- und Krebspatienten – fehlen bislang solche Angebote. Der rehabilitationswissenschaftliche Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen, angesiedelt beim Zentrum für Rehabilitationswissenschaft an der Universität Bremen, schiebt deshalb jetzt mit einem Symposium zum Thema „Patientenschulung – Perspektiven der patientenorientierten Medizin“ diese Entwicklung an. Wir sprachen darüber mit Zentrums-Mitglied Dr. Norbert Krischke.

taz: Patientenorientierte Medizin müsste doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein?

Dr. Norbert Krischke: Der Bereich Patientenschulung ist nur ein kleiner Baustein patientenorientierter Medizin. Das Interesse an geschulten Patienten, die gezielt über ihre Krankheit und deren Behandlung Bescheid wissen, stieg erst mit der Zunahme chronischer Erkrankungen wie Diabetes, Asthma oder Neurodermitis. Denn chronisch Kranke müssen die Maßnahmen später ja selbst durchführen.

Und der Arzt hat für soviel Betreuung im Grunde keine Zeit?

Ärzte sind heute bei der Vielzahl von Patienten nicht mehr in der Lage, intensive Beratungsarbeit zu leisten. Deshalb führt man Patienten in Gruppen zusammen, um ihnen so Informationen über ihre Krankheitsbilder zukommen zu lassen. Für diese Schulungsprogramme werden Ärzte geschult, um sie gemeinsam mit zum Beispiel Psychologen und Krankenschwestern anbieten zu können.

Und die Krankenkasse zahlt die Teilnahme?

Das ist in der Regel immer noch eine Good-will-Aktion. Es gibt schon einige Kassen, die Kosten übernehmen. Aber grundsätzlich setzt das erstmal den engagierten Patienten voraus, der sich auch um solche Angebote kümmert – oder einen engagierten Arzt, der die Initiative ergreift.

Viele Ärzte verharren allerdings weiter auf der Expertenebene: So ergab eine bundesdeutsche Studie, dass fast 90 Prozent der befragten Patienten meinten: Ärzte hätten zu wenig Zeit. Fast 80 Prozent monierten, der Arzt würde Fachchinesisch sprechen und nicht wirklich auf Fragen antworten.

Gerade die engagierten Ärzte wissen selbst, dass sie adhoc Schwierigkeiten haben, sich in einer verständlichen Sprache auszudrücken. Wir üben in unseren Programmen mit den Ärzten eine patientengerechte Sprache – durch Rollenspiele und Textbeispiele.

Und wieviele Ärzte sind da zum Beispiel in Bremen engagiert?

Um das zu beantworten, müsste man erst eine Studie machen. Wir haben nur mit jenen zu tun, die sich bei uns melden und Interesse haben. Diese Ärzte finden: Wir müssen etwas tun. Die Patientenschulung hilft uns, zufriedene Patienten zu haben – und Patienten zu haben, die übrigens auch nicht mehr so oft den Arzt wechseln. Und das ist ja ganz klar im Interesse der Ärzte. Denn damit zeigen sie dem Patient: Wir engagieren uns für Dich und Du kannst im Zweifel auch mal länger mit uns reden.

Die zitierte Studie kam zu der Vermutung: Wenn Patienten sich nicht aufgehoben fühlen, wenden sie sich von der Schulmedizin ab – und zum Beispiel vermehrt Heilpraktikern zu ...

... weil diese sich natürlich klassischer Weise einfach mehr Zeit nehmen.

Ein Ziel der Patientenschulung ist es, die Patienten therapiebereit zu machen – weil erfahrungsgemäß fast ein Drittel aller Betroffenen verschriebene Medikamente einfach irgendwann weglässt. Woran liegt das?

Es geht vor allem um die Frage: Bin ich bereit, mich in der Öffentlichkeit irgendwie als chronisch Kranker zu outen, der mit Medikamenten herumhantieren muss? Verleugne ich die Krankheit nach außen, verleugne ich sie irgendwann auch vor mir selbst – und bin mir gar nicht mehr der Gefahr bewusst, was passiert, wenn ich die notwendigen therapeutischen Schritte unterlasse. Genau da setzt die Schulung dezidiert an.

Wie können Sie für mehr Patientenorientierung werben?

Für die Schulung von Krebskranken, bei orthopädischen Erkrankungen oder für Schmerzbehandlungen müsste bei den Ärzten mehr Bereitschaft wachsen. Aber die Mediziner klagen oftmals über zu wenig Zeit. Da wollen wir mehr Interesse wecken ...

... damit sich nicht noch mehr Patienten von der Schulmedizin abwenden?

Es herrscht bei den Medizinern schon allgemein das Bewusstsein, dass Patienten kompetent mit einbezogen werden müssen. Viele Ärzte haben nämlich in der Vergangenheit bereits resigniert – und klagen, sie bekämen ihre Patienten nicht in den Griff. Denn eines darf man in der ganzen Diskussion ja nicht vergessen: Auch die Ärzte sehen natürlich gerne Behandlungserfolge – und nicht nur kranke Patienten. Fragen: Katja Ubben

Mehr Informationen zum Symposium am 20./21. Januar gibt es unter der Nummer 218 46 12.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen