: Koch soll wieder Kellner werden
■ Hessische Opposition aus SPD und Grünen für Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Staatsanwalt ermittelt gegen CDU-Geldwäscher. Bundestagspräsident stellt CDU-Rechenschaftsbericht in Frage
Wiesbaden/Berlin (taz) – SPD und Bündnisgrüne im Hessischen Landtag haben gestern beschlossen, gemeinsam einen Antrag zur Auflösung der Volksvertretung einzubringen. Nur Neuwahlen führten nach der Aufdeckung der „kriminellen und mafiösen Machenschaften“ von Mitgliedern der hessischen CDU zu einem politischen Neuanfang, sagte gestern in Wiesbaden Ex-Justizminister Rupert von Plottnitz von den Bündnisgrünen. Die hessische CDU habe ihren ausländerfeindlichen Wahlkampf 1999 schließlich mit Schwarzgeld aus der Schweiz finanziert, sagte von Plottnitz: „Millionenbeträge, über die alle anderen Parteien nicht verfügten.“ Der SPD-Landesvorsitzende und Bundesfinanzminister Hans Eichel sagte, dass die von der CDU hinters Licht geführten Bürger, die nichts von den dunklen Quellen der Wahlkampfgelder der Union gewusst hätten, die Chance für eine neue Wahlentscheidung erhalten müssten. Die SPD kündigte weiterhin an, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des CDU-Spendenskandals zu beantragen. Die SPD-Bundesspitze befürwortet die Vorgehensweise der hessischen Genosssen. Kanzler Schröder erklärte, Neuwahlen wären eine „angemessene Lösung“.
Nach der Landesverfassung muss über den Antrag auf Selbstauflösung des Landtages offen abgestimmt werden. Dem Vorhaben werden deshalb nur wenig Chancen auf Erfolg eingeräumt. Die Entscheidung der Oppositionsparteien, einen Selbstauflösungsantrag einzubringen, ist deshalb auch eine taktische. Ein Misstrauensantrag, wie von der SPD zunächst erwogen, würde die Regierungsparteien CDU und FDP, die nur über die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme verfügen (56:54), womöglich hinter Koch zusammenschweißen. Der Selbstauflösungsantrag biete dagegen „ehrlichen Christdemokraten, die es tatsächlich noch gibt“ (von Plottnitz) und auch der FDP die Chance, einen Neuanfang zu wagen.
Die FDP lehnt die Parlamentsauflösung ab. Sie will ihre beiden Ministerposten behalten. Ministerpräsident und CDU-Chef Roland Koch wies Rücktrittsforderungen an seine Adresse erneut schroff zurück. Er habe nichts gewusst von den in die Schweiz verschobenen Millionen und auch nichts von den „Lügengeschichten“ (Koch) zur Rückführung des Geldes in die CDU-Kasse. Während Koch auf Distanz zu Manfred Kanther ging, um nicht mit in den Spendensumpf hinein gezogen zu werden, stellte der hessische Justizminister Christean Wagner vom rechten Flügel der Union Kanther dagegen ein nahezu untadeliges Führungszeugnis aus.
CDU-Finanzberater Horst Weyrauch, der den Millionentransfer in die Schweiz durchgeführt hatte, will weiter nichts sagen: „Ich habe die vergangenen Monate geschwiegen, das werde ich auch bis zum bitteren Ende so halten“, sagte er. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden leitete gestern gegen ihn und den früheren hessischen CDU-Schatzmeister Wittgenstein Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs ein.
Wegen der Schwarzkonten der hessischen CDU und fehlender Klarheit über andere „Mittelzuflüsse ungeklärter Art“ muss die Bundes-CDU ihren schon revidierten Rechenschaftsbericht für 1998 erneut überarbeiten. Im Auftrag von Bundestagspräsident Thierse (SPD) hat die Bundestagsverwaltung den CDU-Anwälten einen umfangreichen Fragenkatalog zu der überarbeiteten Fassung des Rechenschaftsbericht übersandt. Von deren Beantwortung wird die staatliche Finanzierung und die Festlegung von Strafgeldern für die CDU abhängig gemacht.
Unterdessen schloss Volker Neumann (SPD), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur CDU-Finanzaffäre, es nicht aus, den Untersuchungsauftrag zu erweitern. Anstatt nur zu untersuchen, ob Parteispenden Einfluss auf die Politik der Kohl-Regierung gehabt hätten, könnten generell Einnahmen und Vermögenswerte untersucht werden, die nicht im Rechenschaftsbericht auftauchen.
K.-P. Klingelschmitt/K. Nink
Tagesthema Seiten 2 und 3
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